Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (50 page)

BOOK: Sebastian
2Mb size Format: txt, pdf, ePub
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Schatten im Garten.
Sie sind Teil von uns allen.
 
-
Das Buch der Lektionen
Kapitel Zwanzig
Abartiges Biest«, schimpfte Koltak leise, als das Pferd plötzlich ein paar Schritte vor dem großen Teich stehen blieb. »Hast mir fast den Arm ausgerenkt, um zum Wasser zu kommen, und jetzt willst du nicht trinken?«
Er verstand nicht viel von Pferden, aber das Tier schien wegen irgendetwas beunruhigt zu sein, also blickte er sich um. Er sah nur das Meer aus grünen Hügeln, die genauso aussahen, wie jene, die er gestern gesehen hatte - und vorgestern. Was geschah in der Stadt der Zauberer? Machte sich jemand Gedanken wegen der Zeit, die er bereits fort war? War er in dieser Landschaft gefangen, dazu verdammt, an einem Ort umherzuwandern, an dem er nichts war, außer einem unbeholfenen Reisenden?
Das Pferd machte einen Schritt nach vorne und blieb dann wieder stehen.
»Dann bleib eben durstig.« Koltak nahm das Kochgeschirr vom Sattel. Die Zügel fest in der Hand, näherte er sich dem Wasser.
Das Pferd folgte ihm, durch sein entschlossenes Vorgehen anscheinend ermutigt. Aber trotzdem zögerte es am Rand des Teiches, bevor es schließlich den Kopf senkte und zu trinken begann.
Das dämmrige Licht hatte das Wasser in undurchsichtiges Grau verwandelt, aber der Teich sah sauber genug aus. Er würde das Tier trinken lassen, bis es nicht mehr wollte und dann -
Die Kreatur brach genau neben dem Kopf des Pferdes
durch die Wasseroberfläche. Bräunlich grau. Raue Haut. Die geöffneten Kiefer voll spitzer Zähne gruben sich in den Hals des Pferdes. Eine Drehung des riesigen Körpers zog das Pferd in den Teich. Ein wildes Kopfschütteln trennte den Kopf des Tieres ab, so dass er im blutigen Wasser auf und ab schaukelte.
Plötzlich erschien eine weitere Kreatur und riss ein Hinterbein ab, während eine andere sich im Bauch des Pferdes verbiss und das Wasser aufwühlte, als sie sich um die eigene Achse drehte, bis die scharfen Zähne und die Drehbewegung ein Stück Fleisch herausgerissen hatten.
Nach Luft schnappend und vor Angst am ganzen Körper zitternd, starrte Koltak auf den Teich. Er erinnerte sich nicht daran, sich bewegt zu haben, aber er stand jetzt mehrere Körperlängen abseits des Blutbads.
Er wusste, was sie waren. Jeder Zauberer musste die Beschreibungen und die groben Zeichnungen der Kreaturen studieren, die mit dem Weltenfresser eingeschlossen worden waren. Knochenschäler, Röhrenspinnen und Windläufer waren einige der Monstren, die man aus der Welt genommen hatte.
Dies hier waren Todesdreher. Krokodilähnliche Wesen, aufgebläht durch menschliche Angst. Eine größere, wildere Ausgabe eines der natürlichen Raubtiere Ephemeras.
Verwirrt hob Koltak seine Hände. Eine Faust hielt das Kochgeschirr. Die andere umklammerte noch immer die Zügel.
Sein Blick folgte den Lederriemen. Dann schrie er, ließ Zügel und Geschirr fallen und wich stolpernd ein paar Schritte von dem abgerissenen Kopf zurück, den er ohne es zu wollen vom Teich fortgeschleppt haben musste. Er fiel auf alle Viere, übergab sich krampfhaft, dann entfernte er sich kriechend von der Sauerei, die er angerichtet hatte, und legte sich auf den Rücken, den Blick starr
auf die ersten Sterne gerichtet, die den dunkler werdenden Himmel erhellten.
Die Schrecken, die aus den Ängsten der Menschen geformt worden waren, hatten entkommen können. Die Landschaften, in denen diese Kreaturen hausten, waren erneut mit dem Rest der Welt verbunden worden. Wenn ein Zugang geschaffen worden war, der es den Todesdrehern erlaubte, in diese Landschaft einzudringen, waren dann auch andere Landschaften verändert worden, um diesen Kreaturen Einlass zu gewähren? Und was war mit den anderen Bestien? Würde ein Kind auf einem Familienausflug am Strand auf einen Flecken rostfarbenen Sandes treten und verschwinden, gefangen in der Landschaft der Knochenschäler?
Es wäre möglich. Genährt von Trauer und Angst könnten diese Landschaften alle anderen beeinflussen, ihre Resonanz verändern, alle Hoffnung vernichten. Und der Albtraum, den der Weltenfresser bereits einmal zu erschaffen versucht hatte, würde Wirklichkeit werden, und alles Gute in der Welt würde in sich zusammenschrumpfen, bis nichts mehr übrig war.
Einen strahlenden Moment lang, als er zu den Sternen aufblickte, wurden sein Herz und Verstand von allem Ehrgeiz und persönlichem Groll gereinigt, und er war erfüllt von der Resonanz eines einzigen Gedankens: Er musste Sebastian finden. Das Fortbestehen Ephemeras stand auf dem Spiel, und Sebastian zu finden, war der Schlüssel zur Rettung der Welt.
Unsicher, aber entschlossen kam Koltak auf die Beine und lief los.
Sebastian war der Schlüssel zur Rettung der Welt.
Als er in die Innentasche seiner Robe griff, hörte er das beruhigende Rascheln von Papier.
Sebastian … und die Nachricht, die er aus der Stadt der Zauberer mit sich gebracht hatte.
Dalton lehnte sich gegen einen Baum und fragte sich aufs Neue, was er hätte tun können, damit die Dinge anders verlaufen wären.
»Hauptmann?« Addison trat zu ihm heran und blickte dann zum Bach hinüber, an dem Guy und Henley Wache hielten. »Was mit Darby passiert ist, war nicht Euer Fehler. Ihr habt ihn in die Stadt geschickt, um am Wachhaus einen Bericht abzuliefern, der dann zu den Zauberern hinauf gebracht werden sollte. Ihr habt ihm nicht befohlen, an einer Taverne Halt zu machen, in einen verfluchten Streit zu geraten und sich genügend Messerstiche einzufangen, um daran zu sterben.«
»Er war kein heißblütiger Mann«, sagte Dalton, seine Stimme voll unterdrücktem Zorn und Bedauern.
»Nein, das war er nicht. Aber seit einiger Zeit bringt irgendetwas das Böse in den Menschen hervor. So scheint es jedenfalls.«
»Ich weiß.«
Addison rieb sich den Nacken. »Es geht mich nichts an, Hauptmann, aber vielleicht solltet Ihr Euch Gedanken über einen anderen Ort für Euch und Eure Familie machen.«
»Ich habe bereits darüber nachgedacht«, sagte Dalton leise. »Mein derzeitiger Vertrag läuft in ein paar Monaten aus, und meine Frau hat mehr als einmal erwähnt, dass es ihr nichts ausmachen würde, die Stadt der Zauberer zu verlassen. Also habe ich darüber nachgedacht. Aber wo sollen wir hin? Was für eine Landschaft könnten wir erreichen?«
Addison trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich habe über die Jahre hinweg Zeit in mehreren Landschaften verbracht und unter etlichen Hauptmännern gedient. Selbst diejenigen, die gute Anführer waren, sind nicht immer gute Menschen gewesen. Aber Ihr seid ein guter Mensch. Ihr gehört nicht hierher. Das wusste ich schon nach einer Woche unter Eurer Führung. Ich habe meine
Meinung in den letzten Jahren nicht geändert. Es ist keine freundliche Stadt, Hauptmann. Ist es nie gewesen. Wenn Ihr weiterhin Umgang mit den Zauberern pflegt, vergesst Ihr vielleicht, was es bedeutet, ein guter Mensch zu sein.«
Addison kam dem Kern der Sache zu nahe, sprach Dinge aus, über die Dalton versuchte, nicht nachzudenken - vor allem während der dunkelsten Stunden der Nacht.
»Was ist mit Euch, Addison? Ihr seid aus einer anderen Landschaft gekommen und geblieben. Ihr seid bereits seit mehr Jahren hier als ich. Warum denkt Ihr nicht ans Fortgehen?«
Addisons Lächeln war süß und bitter. »Ich habe nie gesagt, dass ich ein guter Mensch bin.«
 
Glorianna lief auf die Quelle der Dissonanz in der Landschaft der Wasserpferde zu - die Dissonanz, die ihr durch Mark und Bein gegangen war, als sie einen Rundgang durch ihren Garten gemacht hatte, um ihre Landschaften zu überprüfen. Diese Dissonanz hatte sie wütend gemacht. Das andere »Unkraut« in ihrem Garten hinterließ den brennenden Geschmack der Verzweiflung in ihrem Rachen.
Lee würde herausfinden, was das Herz ihrer Mutter derart in Verwirrung gestürzt hatte. Nadia würde mit ihm sprechen, würde ihm erzählen, was nicht stimmte, und er würde tun, was er konnte, um ihr Leiden zu mildern. Oder zumindest die Ursache herausfinden. Denn sie wollte das Undenkbare nicht in Betracht ziehen - dass das Herz ihrer Mutter nicht länger im Takt mit ihrem eigenen schlug, dass sich etwas tief in Nadia so stark verändert hatte, dass sie nicht länger in eine Landschaft passte, die Glorianna Belladonna unterstand.
Lee würde sich um alle Schwierigkeiten kümmern, die sie zu Hause erwarteten. Was auch immer den Missklang
in
dieser
Landschaft verursacht hatte, war etwas, um das nur sie sich kümmern konnte.
Was auch immer? Sie wusste, wer Sein Zeichen in der Landschaft der Wasserpferde hinterlassen hatte. Sie wusste nur nicht, wie Er dort hingekommen war.
Als Sebastian ihr vom Tod des Wasserpferdes erzählt hatte, hatte sie sich den Teich angesehen. Der Ort war von einer Dunkelheit verunreinigt, die nicht in diese Landschaft passte, deren Resonanz sie nicht teilte. Aber sie hatte kein Anzeichen eines Ankers gefunden, der als Zugangspunkt dienen könnte, also hatte sie ihre Resonanz durch die Landschaft geschickt und ihre Macht dabei auf den Teich und das umliegende Land konzentriert, bis es wieder mit ihr im Einklang war. Die Dunkelheit war nicht vollkommen bereinigt worden, aber sie hätte in der Zwischenzeit verblassen sollen, es sei denn, jemand voll düsterer Gefühle, welche die Resonanz dieser Dunkelheit teilten, war oft genug an jenem Teich vorübergegangen und hatte dem Weltenfresser so einen Angriffspunkt geschaffen, um den Teich wieder zu einem Zugang zu einer Seiner Landschaften zu machen.
Sich wünschend, sie hätte Lees scharfe Anweisung, eine Laterne mitzunehmen, nicht ignoriert, eilte sie auf den Teich zu, bis sie im schwindenden Licht etwas entdeckte, das sie für einen dunklen, seltsam geformten Felsen hielt. Dann verschlug ihr der Gestank nach Blut und Erbrochenem den Atem.
Während sie darum kämpfte, ihren aufgewühlten Magen unter Kontrolle zu halten, ging sie vorsichtig näher heran und starrte lange Zeit auf den abgetrennten Pferdekopf, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf den Teich richtete, der ein paar Körperlängen entfernt lag. Es gab nur eine Kreatur, die man in den Landschaften des Weltenfressers eingeschlossen hatte, die in der Lage war, Muskeln und Knochen mit einem Biss zu durchtrennen. Todesdreher.
Ein Frischwasserteich würde ihnen gefallen, doch die Wasserpferde stammten aus einem nördlichen Klima, also hätte diese Landschaft den Todesdrehern eigentlich zu kalt sein sollen. Es sei denn, die Kreaturen hatten sich während der langen Jahre, in denen sie von der Welt ausgeschlossen gewesen waren, verändert und waren nicht länger von der Wärme der Sonne abhängig, um ihre Körper aufzuwärmen.
Oder der Teich war nicht mehr als ein Ort, an dem sie nach Beute jagten und dann in ihre eigene, wärmere Landschaft zurückkehrten. So oder so brauchte der Weltenfresser eine Möglichkeit, diesen Ort zu erreichen, um den Teich zu verändern, was bedeutete, dass Er in der Nähe einen Ankerpunkt hatte, der klein genug war, um nicht entdeckt zu werden - oder es gab eine Brücke, von der Lee nichts wusste, die Ihm Zugang gewährte.
Und wenn Er Zugang zu
dieser
Landschaft hatte, könnte er auch den Pfuhl erreichen oder die Brücke nach …
Oh, Wahrer des Lichts, war das der Grund, warum mit Nadia etwas nicht stimmte? Hatte der Weltenfresser die Brücke nach Aurora überquert? Veränderte Er bereits das Dorf, verwandelte die Straßen in rostfarbenen Sand, so dass jeder, der darauf ging, in die Landschaft der Knochenschäler gezogen wurde? Würde der Teich, in dem zur Sommerzeit Kinder schwammen, zu einem Jagdgrund der Todesdreher werden? Oder was, wenn Er das Dorf nicht erreicht hatte? Von der Grenze dieser Landschaft war es nicht weit zu Sebastians Cottage - und die Brücke, die am Pfad endete, der zu Nadias Haus führte, lag gleich dahinter. Was, wenn sie angegriffen wurde? Was, wenn Lee unvorbereitet in Schwierigkeiten geriet und ernsthaft verletzt wurde, bevor er Zeit hatte, seine Insel über das zu legen, was auch immer zu Hause geschah, und sich selbst, Nadia und Jeb in Sicherheit bringen konnte? Und was war mit Nadias Gärten? Jede dieser Landschaften verfügte über eine Brücke, die in die
Heiligen Stätten führte. Und das war letztendlich das Ziel des Weltenfressers: Die Orte zu zerstören, deren Licht wie Leuchtfeuer strahlte, die Orte, die den Menschen dabei halfen, an Gefühlen wie Liebe und Güte und Hoffnung festzuhalten, allein weil sie wussten, dass es sie gab.
Also warum machte sie sich Sorgen darüber, dass Dämonen in Pferdegestalt den Todesdrehern, Knochenschälern und dem, was der Weltenfresser sonst noch in die Welt zurückbrachte, als Futter dienten? Sie konnte die Landschaft verändern. Sie hatte die Macht, diesen Teil der Welt auszureißen, ihn so vollständig aus der Welt zu nehmen, dass er auf immer verloren wäre. Er würde sich nicht bewegen, nicht physikalisch betrachtet, aber das Auge würde ihn nicht erblicken, der Verstand ihn nicht wahrnehmen und das Herz ihn nicht erkennen. Kein Zugang. Keine Brücke, um hinüberzutreten. Und wenn das Herz diesen dunklen Ort nicht erkannte … dann führte auch kein Weg zurück, wenn jemand aus Versehen in jene Landschaft geriet.
Wirst du ein weiteres Stück aufgeben, Glorianna? Wirst du werden wie die anderen Landschafferinnen, die dachten, Dämonen seien nicht von Bedeutung, verdienten keinen eigenen Platz auf der Welt, bräuchten diese atemberaubenden Momente nicht, in denen etwas Wunderschönes den Blick auf sich zieht und das Herz blendet? Wirst du sie aufgeben, weil sie nicht menschlich sind? Das bist du auch nicht. Nicht vollkommen. Diese beruhigende Lüge gibt es für dich nicht mehr. Was auch immer deine Vorfahren waren, sie haben sich vielleicht mit Menschen gepaart, so dass du jetzt, all diese Generationen später, in einem menschlichen Körper lebst, aber deine Macht ist nicht menschlich. War niemals menschlich. Landschafferinnen konzentrieren sich auf Menschen, weil das menschliche Herz so viel erschaffen - und zerstören - kann.
Aber die anderen Wesen sollten nicht vergessen werden. Als du zur Schule gingst, wusstest du das, hast die Bedürfnisse derer, über die niemand außer dir nachdenken wollte, wahrgenommen. Selbst Dämonen brauchen ein Zuhause. Selbst eine dunkle Landschaft sollte die Wärme des Lichts spüren. Warum hast du das vergessen?
Glorianna hielt inne. Wandte sich um. Die Nacht war hereingebrochen, und sie konnte nicht sagen, wie lange oder in welche Richtung sie gelaufen war. Ihre Gefühle waren zu sehr aufgewühlt, sie hatte keine Ahnung, wo von hier aus gesehen der Teich lag.
BOOK: Sebastian
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