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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (53 page)

BOOK: Sebastian
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Als Koltak damit fertig war, den Schmutz von seinen Händen zu schrubben, kehrte Teaser mit einem Wasserkrug, einer Flasche Rotwein und ein paar Gläsern zurück, die so aussahen, als hätte er sie mitgenommen, weil sie sauber waren und gerade dastanden, denn diese Gläser nahm Philo normalerweise nicht für Wasser und Wein.
»Nicht besonders gut ausgebildet, oder?«, murrte Koltak,
als er sich ein Glas Wasser einschenkte und es gierig hinunterstürzte.
»Er hilft nur aus.« Und Teaser
hatte
daran gedacht, die Schüsseln mit dem dreckigen Wasser und die Handtücher mitzunehmen. Sebastian war sich nicht sicher, ob er die Seife aus Versehen auf dem Tisch liegen gelassen hatte, oder ob er damit etwas sagen wollte.
»Dieses Frauenzimmer bedient nicht an den Tischen hier drinnen?«
Das Frauenzimmer werde ich einmal heiraten.
Aber je weniger Koltak - und jeder andere Zauberer - über Lynnea wusste, desto besser. Trotzdem fragte er sich, was es über Koltak als Mann aussagte, dass eine Frau auf der anderen Seite des Hofes seine Aufmerksamkeit geweckt hatte, wenn es angeblich so entscheidend war, mit seinem Sohn zu sprechen - und was es über einen Mann aussagte, dass er ernsthaft das Wort »Frauenzimmer« benutzte, was man im Pfuhl nur aussprach, um jemanden aufzuziehen.
»Nein, sie bedient nicht an den Tischen hier drinnen.«
Schwungvoll stieß Teaser die Tür nach innen zum dritten Mal auf. Er ließ zwei Löffel in die Mitte des Tisches fallen und leerte dann sein Tablett, auf dem zwei Schüsseln Rindfleischeintopf, ein Teller mit gewürfeltem Käse und ein Korb mit Phallischen Köstlichkeiten stand. Keine Butter.
Sebastian sah Teaser an. Teaser zuckte mit den Schultern und drehte sich um. Offensichtlich war Philo nicht der Meinung, dass der Besuch eine Delikatesse wie Butter verdiente. Oder Oliven.
Wahrscheinlich war es gut so, entschied Sebastian, als er eine Phallische Köstlichkeit aus dem Korb nahm. Er wollte die Mahlzeit schließlich nicht unnötig ausdehnen.
»Das ist widerwärtig«, sagte Koltak und starrte auf die Köstlichkeit in Sebastians Hand.
»Es ist Brot«, entgegnete Sebastian scharf. »Wenn du
es wegen seiner Form nicht magst, dann iss es nicht.« Er ließ das Brot in die Schale mit Eintopf fallen, goss sich ein Glas Wein ein und lehnte sich zurück. Die Erkenntnis, dass er sich immer noch danach sehnte, dass sein Vater ihn akzeptierte, machte ihm zu schaffen. Es war sinnlos und unnötig, sich so zu fühlen. Schließlich war er sein ganzes Leben ohne die Anerkennung seines Vaters ausgekommen. Vor allem, weil die Äußerung über das »Frauenzimmer« ein Gefühl heraufbeschwor, das weniger eine Erinnerung, sondern eher ein verblasster Eindruck der Male war, in denen Koltak zu Nadia gekommen war, um ihn zurück in die Stadt der Zauberer zu schleppen, und sie auf der Reise gezwungen gewesen waren, in einem Gasthaus zu übernachten.
Wäre Koltak kein Zauberer gewesen, hätte er sich nicht hinter seiner Macht verstecken können. Dann wäre er nichts als ein geschmackloser, unsympathischer Mann gewesen. Vielleicht hat er mir damit, dass er sich geweigert hat, einen Inkubus als Sohn anzuerkennen, einen größeren Gefallen getan, als ich erkennen konnte. Anstatt von ihm lernen zu müssen, hatte ich Tante Nadia, die mir gezeigt hat, was es bedeutet, ein guter Mensch zu sein.
Koltak zögerte. Dann besiegte der Hunger den Ekel, und er nahm eine Köstlichkeit aus dem Korb und biss ein großes Stück ab. Die gleiche Mischung aus Missfallen und Hunger spiegelte sich auf seinem Gesicht wieder, als er sich über den Eintopf hermachte.
Sebastian hatte den Appetit verloren, trank Wein und sah seinem Vater dabei zu, wie er die Mahlzeit hinunterschlang. Während Koltak den letzten Rest Eintopf mit einem Stück Brot auftunkte, leerte er sein Glas, schob seine unberührte Schüssel zur Seite, beugte sich nach vorn und legte die Arme auf den Tisch.
»Was willst du?«, fragte er.
Koltak rülpste verhalten. Dann seufzte er. »Dein Bericht
über die gewaltsamen Tode war nur der erste von vielen. Wenn der Rat zugehört hätte -«
»Wenn
du
zugehört hättest!«
Zorn blitzte in Koltaks Augen auf, bevor er den Blick senkte und auf die Tischplatte starrte. »Gut, in Ordnung. Wenn
ich
zugehört hätte. Es ist schlimmer, als du begreifst, Sebastian. Die Schule der Landschafferinnen wurde angegriffen.«
»Ich weiß.« Die Erinnerung an das, was er gesehen hatte, ließ den Wein in seinem Magen sauer werden. »Ich hatte in der Schule … zu tun …, aber ich kam zu spät. Ich habe niemanden gefunden, der noch am Leben war. Beinahe wäre ich selbst nicht mehr herausgekommen.«
»Dann hast du es gesehen. Du
weißt
es.«
»Dass der Weltenfresser entkommen ist und frei durch die Landschaften zieht? Ja, das weiß ich.«
Der Schrecken in Koltaks Augen konnte nicht gespielt sein.
»Nein«, sagte Koltak. »Nicht der Weltenfresser. Sogar -« Er verstummte, bemüht, die Fassung wiederzugewinnen. »Der Rat der Zauberer ist sich bewusst, dass einige der dunklen Landschaften, die aus der Welt genommen wurden, seit einiger Zeit in anderen Landschaften … auftauchen …, dass eine dunkle Macht die Landschaften beeinflusst, damit diese Orte wieder Zugang zum Rest der Welt haben. Diese Macht muss aufgehalten werden, muss vernichtet werden. Das siehst du doch ein?«
»Das sehe ich ein.«
»Dann musst du mit mir in die Stadt der Zauberer kommen und zum Rat sprechen.«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Über die Morde hier im Pfuhl kann ich dir alles erzählen, was ich weiß. Ich beschreibe dir alles, was ich in der Schule der Landschafferinnen gesehen habe. Aber ich gehe nicht in die Stadt der Zauberer.« Seine Stimme wurde schärfer, als Koltak begann, zu protestieren. »Für mich besteht kein
Grund, dorthin zu gehen, aber ich habe allen Grund, zu bleiben. Ich habe mein Wort gegeben, den Pfuhl zu beschützen.«
»Dann beschütze ihn!« Koltak presste sich die Handballen an die Schläfen, als versuche er angestrengt, die richtigen Worte zu finden. »Begreifst du nicht, was ohne die Landschafferinnen mit Ephemera geschehen wird?«
»Die Landschaften werden verwundbar. Der Weltenfresser wird in der Lage sein, Veränderungen zu -«
»Du Narr! Es ist schlimmer als das.« Koltak ballte die Hände zu Fäusten und schlug sie auf den Tisch. »Ohne die Landschafferinnen gibt es nichts, das zwischen Ephemera und dem menschlichen Herzen steht. Die dunklen Landschaften werden den Wahnsinn nur noch verstärken. Stell es dir vor, Sebastian. Ein Baby weint, und im Brunnen der Familie steht auf einmal Salzwasser - untrinkbar. Zwei Mädchen, die sich als Rivalinnen betrachten, treffen vor einem Süßwarengeschäft aufeinander und streiten sich - und plötzlich brechen Felsbrocken aus der Straße, Wagen und Kutschen, die keinen Weg hindurch finden, bleiben stecken und möglicherweise werden sogar Menschen verletzt.
Ephemera lässt Gefühle Gestalt annehmen.
Das hat es schon immer getan. Die Landschafferinnen sind die Einzigen, die in der Lage sind, diesem Vorgang Grenzen zu setzen.«
Fassungslos lehnte Sebastian sich zurück. War es das, was Glorianna gemeint hatte, als sie sagte, er sei ein Anker? Dass seine Gefühle für den Pfuhl, seine Liebe zu diesem Ort, ihn im Gleichgewicht hielten? Aber nicht nur seine Gefühle, sondern ihre Gefühle ebenso. Glorianna Belladonnas Resonanz hallte durch den Pfuhl.
Aber irgendetwas von dem, was Koltak sagte, stimmte nicht ganz. Wenn der Anker des Pfuhls eine Person war, hätten dann andere Orte nicht ebenfalls einen solchen Anker haben müssen? Schließlich bestimmte die Signaturresonanz einer Landschafferin vielleicht die »Atmosphäre«
ihrer eigenen Landschaften, aber sie konnte nicht überall zur gleichen Zeit sein.
Und warum spürte er auf einmal einen solchen Druck im Kopf, als stieße etwas von innen an seine Schädeldecke? Konnte der Wunsch nach Schnupfen ihn wirklich krank machen? Wenn
das
der Fall war, würde er sich von nun an nur noch gesunde Gedanken machen.
»Du glaubst, du seiest hier sicher«, sagte Koltak. »Und vielleicht bist du das auch eine Weile. Aber wie lange wird dieser Ort standhalten, wenn der Rest Ephemeras aus dem Gleichgewicht gerät? Der Aufruhr wird sich ausbreiten - und alle mit sich in den Untergang reißen.«
»Wie …« Sebastian goss sich noch Wein ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter, in dem Versuch, sich die Kehle auszuspülen und in der Hoffnung, den Kopf frei zu bekommen. »Wie soll ich dir dabei helfen, diese Entwicklung aufzuhalten?«
»Wir versuchen, alle Landschafferinnen zu finden, die noch dort draußen sind und ihnen die Warnung zukommen zu lassen, möglichst nicht in die Schule zurückzukehren. Wir wussten, dass in der Schule etwas geschah, etwas Schreckliches, aber wir konnten nicht herausfinden, was es war. Alle Zauberer, die gegangen sind, um Nachforschungen anzustellen, sind nicht zurückgekehrt. Wir kämpfen blind, Sebastian. Einige der Brücken sind zerstört worden, und zu etlichen Landschaften haben wir keinen Zugang mehr. So sind wir nicht in der Lage, die Menschen, die vielleicht um ihr Überleben kämpfen, zu erreichen oder ihnen zu helfen. Der Rat will mir dir sprechen, weil du uns von den Morden, die hier stattgefunden haben, berichten, und uns eine Vorstellung davon verschaffen könntest, was aus diesen versteckten, dunklen Landschaften herausgekommen ist. Aber du hast auch die Schule gesehen. Du bist der Einzige, der sie gesehen hat. Du bist der Einzige, der uns sagen kann, was wir gegenüberstehen. Du
musst
mich begleiten!«
»Nein.« Sebastian rieb sich die Stirn. Was Koltak sagte, ergab Sinn. Warum war er so stur? Koltak zu begleiten, um zu berichten, was er gesehen hatte, war richtig. Oder etwa nicht?
Koltak seufzte. »Ich habe mich freiwillig gemeldet, zu versuchen, dich zu finden. Um wiedergutzumachen, dass ich nicht auf dich gehört habe, als du gekommen bist, um mich um Hilfe zu bitten. Wäre statt meiner ein anderer Zauberer gekommen, hätte dir die Dinge gesagt, die ich dir gerade gesagt habe, wärst du bereit gewesen, das Richtige zu tun? Du nennst dich einen Rechtsbringer. Beginnt und endet deine Gerechtigkeit - und dein Mitleid - mit den Straßen dieses Ortes? Ich war kein guter Vater. Das weiß ich. Aber was ich in der Vergangenheit getan oder nicht getan habe, spielt jetzt keine Rolle.
Darf
jetzt keine Rolle spielen. Einzig die Rettung Ephemeras ist von Bedeutung, und was das betrifft, so kämpfen wir, denke ich, beide auf der gleichen Seite.«
Aus Koltaks Worten sprach Wahrheit. Ihre Resonanz hallte in Sebastian wider. Aber etwas in ihm leistete noch immer Widerstand. Hätte er mit Koltak Karten gespielt, wäre er schon lange vom Tisch aufgestanden und hätte auf sein Bauchgefühl gehört, das ihm sagte, dass dieser Mann ein Betrüger war. Aber er kam einfach nicht darauf, warum er das Gefühl nicht loswurde, dass Koltaks Wahrheit irgendwie eine Lüge war.
Aber etwas gab es, das Koltak nicht berücksichtigt hatte: Alles, was er von den Zauberern erfuhr, würde er an Nadia, Glorianna und Lee weitergeben.
»Wo bist du übergetreten?«, fragte er.
»An einer Brücke aus Brettern in Sichtweite der Stadt der Zauberer. Ich bin in einer dunklen Landschaft gelandet. Dämonen in Pferdegestalt streiften dort umher.«
»Ich kenne den Ort.« Er hatte dieselbe Brücke überquert, als er aus der Stadt der Zauberer geflohen war. Offensichtlich hatte Lee nicht alle Brücken gefunden, die
einen Zugang aus der Stadt der Zauberer in die Landschaften Belladonnas schaffen konnten.
»In Ordnung«, sagte Sebastian. »Ich begleite dich. Jedenfalls bis zur Brücke. An diesem Punkt werde ich entscheiden, ob ich mit dir in die Stadt der Zauberer gehe oder nicht.« Er runzelte die Stirn. Es gab etwas über Ephemera zu wissen, an das er sich erinnern sollte. Aber der Gedanke tanzte gerade so weit am Rande seines Verstandes, dass er ihn nicht zu fassen bekam. »Ich werde dir ein Zimmer besorgen, in dem du ein paar Stunden schlafen kannst, und dann -«
»Dafür bleibt uns keine Zeit!« Verzweiflung klang aus Koltaks Stimme. »Ich habe Tage gebraucht, um dich zu finden. Wer weiß, was in den anderen Landschaften geschehen ist, während ich nach dir gesucht habe.«
Da war es wieder. Dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmte. »Du hast Tage damit verbracht, durch die Landschaft der Wasserpferde zu wandern?«
»Ich habe Brücken überquert, in der Hoffnung, eine von ihnen würde zu dir führen. Bin in Orten namens Dunberry und Foggy Downs und so weiter in einigen anderen Teilen der Welt gelandet.«
Von diesen Orten hatte er noch nie etwas gehört. »Und du hast die Stadt der Zauberer zu Fuß verlassen? Ohne Proviant?«
»Ich wurde … angegriffen«, erwiderte Koltak. »Mein Pferd wurde getötet. Ich bin entkommen. Und danach habe ich endlich den Weg hierher gefunden.«
Wenn er ein wenig mehr Zeit hätte, könnte er vielleicht herausfinden, was ihn an all dem so störte. »Du musst dich ausruhen.«
»Ich ruhe mich aus, wenn meine Aufgabe erledigt ist. Wenn ich getan habe, was ich konnte, um Ephemera wieder zu einem sicheren Ort zu machen.«
Die ruhige Würde in Koltaks Stimme traf Sebastian genau ins Herz, fegte jeden Zweifel beiseite.
»Ich muss zurück ins Bordell und ein paar Sachen einpacken. Ein paar Anweisungen hinterlassen«, erklärte er.
Koltak schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. »Ich gehe mit dir, wenn du keine Einwände hast.«
Sebastian nickte nur. »Warte eine Minute hier.«
Er erwischte Lynnea gerade, als sie mit einer weiteren Bestellung den Hof betrat.
»Sebastian, wer ist dieser Mann? Teaser hat gesagt, er ist ein Zauberer und ein schlechter Mensch.«
Er ist mein Vater. Und ich glaube auch nicht, dass er ein guter Mensch ist.
»Ich muss dich ein paar Tage verlassen. Höchstens drei. Schlimme Dinge geschehen in den anderen Landschaften. Die Zauberer - die anderen Rechtsbringer - haben mich um Hilfe gebeten. Ich muss gehen, Lynnea.«
Sorge sprach aus ihren Augen.
Sebastian strich sanft mit einem Finger über ihre Wange. »Pass auf dich auf, in Ordnung? Bitte einen der Bullendämonen, dich zurück zum Bordell zu begleiten, wenn Teaser nicht in der Nähe ist.«
»Das werde ich.«
»Und vermiss mich ein wenig.«
BOOK: Sebastian
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