Sebastian (47 page)

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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

BOOK: Sebastian
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Sebastian.
Warum setzte er sich zur Wehr? Er konnte sich nicht mehr wirklich daran erinnern.
Er ging einen Schritt auf die Reinblüter zu.
Sebastian!
Wild schlug die Liebe in ihrer Verzweiflung, ihn zu erreichen, zu, setzte ihn in Flammen, befreite ihn aus dem Bann der Reinblüter. Er erkannte diese Liebe, ihre Hitze, die Leidenschaft, die aus diesem Herzen sprach.
Lynnea!
Die Macht der Zauberer stieg in ihm auf, prickelte in seinen Fingerspitzen - eisiges Feuer, das eher der kalten Gewissheit des Verstandes entsprang, als der Glut der Gefühle.
»Ich schütze den Pfuhl«, sagte er mit erhobener Stimme, um die Menge zu erreichen, während er die Reinblüter mit seinem Blick fixierte. »Ihr seid eine Gefahr für die Menschen hier, für alle Menschen in Ephemera. Ihr seid Mörder und müsst vernichtet werden. Die Gerechtigkeit fordert es.«
Die Reinblüter fauchten. Die Menge drang auf ihn ein.
Er hob die Hand, zeigte auf die Reinblüter - und ließ seine Macht frei.
Zuckende Blitze, blendend hell, trafen alle vier. Hüllten sie ein. Ließen sie in Flammen aufgehen.
Verbrannten sie.
Sie schrien, unfähig, sich der Macht zu entziehen. Die Männer, die auf ihn losgegangen waren, stolperten plötzlich übereinander in ihrer Hast, von ihm wegzukommen.
Selbst als die Reinblüter tot auf der Straße lagen, schien das Echo ihrer Schreie noch widerzuhallen.
Niemand sprach; niemand rührte sich.
Er blickte in die Menge. Mit dem Tod der Reinblüter war der Bann von ihnen abgefallen. Jetzt spiegelten die Gesichter der Männer nichts anderes wider als Angst - vor ihm.
»Verlasst den Pfuhl«, befahl er. »Kehrt nicht wieder.«
Unbeholfen kamen sie auf die Beine, eilten in die Richtung der Brücken, die sie in ihre Heimatlandschaften zurückbringen würden. Er blickte ihnen nach, bis sie au ßer Sichtweite waren. Dann wandte er sich um und sah in den Hof.
Angst in Teasers Augen, in Philos. Selbst die Bullendämonen blickten ihn voller Furcht an. Aber Lynnea …
Vielleicht verstand sie nicht, was er war. Vielleicht war es ihr egal. Alles, was er von ihr spürte, war Erleichterung … und Liebe.
»Tageslicht, Sebastian«, sagte Teaser schließlich in einem Tonfall, der leicht hysterisch klang. »Du bist ein Zauberer!«
Er rieb mit dem rechten Daumen über seine Fingerspitzen und spürte das leichte Prickeln jener kalten Magie. Und er erinnerte sich an etwas, das Nadia einst gesagt hatte.
Es gibt zwei Arten von Zauberern. Viele genießen das unterwürfige Gehabe und die Aufmerksamkeit, die man ihnen aus Angst entgegenbringt. Aber es gibt andere, die
ihre Macht im Namen der Gerechtigkeit einsetzen, um die Menschen vor Dingen zu schützen, die ihnen wirklich Schaden zufügen würden.
»Nein«, sagte er und blickte erst Philo, dann Teaser an. »Ich bin kein Zauberer. Ich bin ein Rechtsbringer.«
Kapitel Achtzehn
Dalton sah Henley und Addison dabei zu, wie sie die Zelte neben dem Wagen aufschlugen, in dem ihre Vorräte untergebracht waren. Es war nicht nötig, auf dem Boden zu schlafen und sich den Launen des Wetters auszusetzen, wenn sie nicht mussten. Und sie waren so nah an der Stadt der Zauberer, dass er alle paar Tage einen Mann schicken konnte, um frische Nahrungsmittel zu besorgen.
Faran würde überleben. Der Wundarzt war voller Hoffnung, dass der Mann das Bein nicht verlieren würde. Auch die übrigen Glieder, die durch das Gift taub geworden waren, würden sich vollständig erholen. Aber er hatte weniger Hoffnung, dass das verletzte Bein je wieder stark genug werden würde, um den Ansprüchen der Arbeit eines Wachmannes gerecht zu werden. Also würde Faran den Sold eines Vierteljahres als Wiedergutmachung erhalten und entlassen werden, um sich ein neues Leben aufzubauen, wenn auch als verkrüppelter Mann.
»Hauptmann?«, sagte Addison, als er sich ihm näherte. »Die Zelte stehen. Wir tränken jetzt die Pferde und pflocken sie dann an, damit sie grasen können.«
Dalton blickte über Addisons Schulter, nicht gewillt, dem Mann in die Augen zu sehen. »In Ordnung.«
Addison seufzte. »Ihr habt getan, was Ihr konntet, Hauptmann. Wir wissen alle, dass Ihr Faran auf der Gehaltsliste behalten wolltet, wenigstens bis er geheilt ist und man sicher weiß, ob er die Wache aufgeben muss. Aber vielleicht ist es besser so. Uns stehen schlimme Zeiten
bevor. Wir alle wissen das. Also ergeht es Faran vielleicht besser, wenn er in ein Dorf auf dem Land zieht und sich eine andere Arbeit sucht. Er ist ein Pferdemensch. Kann gut mit ihnen umgehen. Und die raue Seite des Lebens bei der Wache hat ihm nie gefallen. Er ist zu sehr ein Ehrenmann.« Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Wie Ihr.«
Verlegen und geschmeichelt blickte Dalton den anderen Mann an. »Danke.«
Addison wühlte mit einer Fußspitze im Dreck. »Ich mach mich besser auf und helfe Henley mit den Pferden.«
Dalton wartete, bis der Wachmann sich entfernt hatte, bevor er sich abwandte, um die Planken zu betrachten, die über den schmalen Bach führten. Guy und Darby hatten die erste Wache. Er würde die Wachzeiten kurz halten, um die Müdigkeit und die Langeweile in Grenzen zu halten. Die Nachtwache … Die Nachtwache würde er übernehmen. Aber nicht alleine. Er war kein Narr. Aber er konnte seinen Männern die Eintönigkeit des Wartens auf Koltaks Rückkehr etwas erleichtern - und die Angst mit ihnen teilen, dass etwas über die Brücke kommen könnte, das nicht Koltak war.
 
Sebastian schlang die Arme um Lynnea und zog sie an sich.
Lachend stemmte sie sich gegen seine Brust, in dem halbherzigen Versuch, sich zu befreien. »Hast du nicht genug?«
»Von dir bekomme ich niemals genug.«
Als sie zurück ins Bordell gekommen waren, hatten sie sich stundenlang geliebt. Sie hatte ihm keine Möglichkeit gelassen, es zu umgehen. Und was für eine Wahl hatte er denn, wenn sie sich auf ihn setzte und nichts trug außer nackter Haut und einem Lächeln - eine Mischung aus Sinnlichkeit und natürlicher Schönheit, die seine Libido
im Feuer der Lust auflodern ließ? Er nahm, er gab. Sie nahm, sie gab.
Und irgendwie hatten sich die Bruchstücke seines zersplitterten Herzens in den Stunden des Schlafes nach der Liebesnacht verschoben, bis sie wieder zusammenpassten und nicht mehr aneinander rieben.
»Na, für den Moment hast du jedenfalls genug von mir«, sagte Lynnea und warf ihm einen strengen Blick zu. »Ich muss zur Arbeit, und du musst dich mit Philo treffen.«
Seine Zufriedenheit schwand, als er an das zusammengefaltete Stück Papier dachte, das jemand unter seiner Tür hindurchgeschoben hatte, auf dem man ihn um ein Treffen bat. Er wusste, warum Philo ihn sprechen wollte.
»Was ist denn los?«, fragte Lynnea. »Was stimmt denn nicht damit, dass Philo mit dir reden möchte?«
Er lehnte seine Stirn gegen ihre. »Inkuben sind im Sündenpfuhl willkommen, Zauberer nicht.«
Sie versteifte sich. Begriff sie endlich, warum alle so nervös geworden waren, nachdem er die Reinblüter getötet hatte?
Als sie sich gegen seine Brust stemmte, ließ er sie los. Sie wich einen Schritt von ihm zurück.
Dann sah er ihr ins Gesicht und trat selbst einen Schritt zurück. Empörung. Zorn. Sein kleines Häschen kochte vor Wut und war bereit, auf jemanden loszugehen. Auf irgendjemanden.
»Lynnea.« Er versuchte, ihren Namen beruhigend und beschwichtigend klingen zu lassen. Sollte das nicht funktionieren, würde er sich dazu herablassen, zu flehen. Vielleicht.
Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und sie … stampfte auf.
Oh, verfluchtes Tageslicht!
»Du bist dieselbe Person, die du vorher warst. Und
jetzt wollen sie, dass du gehst, weil du über eine Macht verfügst, die sie vor schlimmen Dingen beschützen kann? Was für Hornochsen haben denn hier das Sagen? Was für Schwachköpfe leben denn hier?«
Sie stürmte zur Tür und stieß sie auf, bevor er sich so weit gesammelt hatte, dass er sie aufhalten konnte.
Unglücklicherweise wählte Teaser genau den falschen Moment, um seine Tür zu öffnen und auf den Flur zu treten.
»Bist du ein Schwachkopf?«, schrie Lynnea und bohrte dem Inkubus einen Finger in die Brust. »Bist du ein Hornochse? Hast du dein Gehirn gegen einen Sack voll Mist eingetauscht?«
»Was hab ich getan?«, fragte Teaser und hob ergeben die Hände. Da Lynnea bereits schnellen Schrittes auf die Treppe zueilte, wandte er sich an Sebastian. »Was habe ich getan?«
»Sie ist außer sich.«
»Was hast
du
getan?«
»Nichts. Nur …« Er griff in die Tasche und gab Teaser seinen Schlüssel. »Schließ das Zimmer für mich ab, ja? Ich muss sie aufhalten, bevor sie etwas Dummes tut.«
»Wie zum Beispiel einen Bullendämon in die Nase kneifen?«
Über diese Möglichkeit würde er nicht nachdenken.
Er raste die Treppe hinunter - und war trotzdem nicht schnell genug, um sie aufzuhalten, bevor sie das Gebäude verließ.
Er holte sie ein, bevor sie bei Philo ankam, aber ihm fiel nicht ein, wie er sie zum Anhalten bewegen könnte, ohne eine Szene heraufzubeschwören, über die der Pfuhl noch jahrelang sprechen würde.
»Lynnea, warte.«
Sie marschierte durch den Hof, stieß die Tür zum Innenraum auf und blieb so plötzlich stehen, dass er gegen
ihren Rücken prallte und sie an den Schultern packen musste, damit sie nicht hinfiel.
Zumindest konnte er das als Ausrede benutzen, warum er sie festhielt.
Philo war nicht der Einzige, der auf ihn wartete. Hastings und Mr Finch saßen ebenfalls am Tisch. Na wunderbar. Ein Exil-Komitee. Nicht, dass Philo oder ein anderer eine Wahl gehabt hätte, was seinen weiteren Aufenthalt hier betraf. Der Pfuhl war in ihm verankert. Es spielte keine Rolle, ob sie ihn als Inkubus, Zauberer oder Menschen betrachteten, er musste bleiben. Und sie mussten es akzeptieren. Das Fortbestehen des Pfuhls hing davon ab.
»Lynnea«, begann Philo, »vielleicht möchtest du in die Küche gehen und -«
Sie stampfte auf.
»Ihr wollt, dass sie in die Küche geht?«, fragte Sebastian, nicht in der Lage, seine Ungläubigkeit zu verbergen. »Dorthin, wo die scharfen Dinge sind?«
Philo sah Lynnea an - und erblasste. »Ah. Vielleicht ein Stuhl?« Er deutete auf einen leeren Sitz am Tisch.
Sebastian schüttelte den Kopf - eine schnelle, abgehackte Bewegung. Bis sein kleines Häschen sich beruhigt hatte, würde er sie nicht in die Nähe von etwas lassen, das sie aufheben und als Waffe benutzen konnte.
»Gut, in Ordnung.« Philo zog ein Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn ab. Er blickte zu Hastings und Mr Finch hinüber, die beide nickten. »Gut. Es ist so, Sebastian, nachdem diese … Kreaturen … beseitigt wurden, sind die Händler und Ladenbesitzer zusammengetreten und haben die Lage besprochen. Wenn du den Pfuhl weiterhin beschützt, solltest du eine Entschädigung erhalten. Wie … einen Lohn.«
»Alle Geschäfte würden jeden Monat einen Teil ihrer Einnahmen dazugeben«, fügte Hastings hinzu. »Einige als Kreditschein, andere als Bargeld. Ein Geschäft wie
das Bordell würde für seinen Teil einfach die Miete für dein Zimmer senken.«
»Außerdem«, sagte Philo und warf Lynnea einen nervösen Blick zu, »haben wir uns alle irgendwie gedacht, dass du deine bisherige Beschäftigung aufgegeben hast.«
Das entsprach der Wahrheit. Sollte er irgendwelche Zweifel daran gehabt haben, ausschließlich Lynnea als Liebhaber zu dienen, war er sich nun, da er sie in vollkommener Raserei erlebt hatte, sicher.
Plötzlich entspannte sich ihr Körper. Sie legte den Kopf schief. »Ihr wollt, dass Sebastian die Rolle des Gesetzeshüters übernimmt?«
»Ja«, murmelte Mr Finch. »Genau.«
Sebastian ließ sie widerstrebend los, als sie sich umdrehte, um ihn anzusehen. Ihre blauen Augen sprühten noch immer vor Temperament. »Sie wollten mit dir über den Schutz des Pfuhls sprechen, und du dachtest, sie wollten, dass du gehst. Du Trottel.«
Er jaulte auf, als sie nach oben griff, um seinen Kopf an den Ohren nach unten zu ziehen. Der heftige Kuss auf den Mund war schön, konnte es aber nicht ganz wiedergutmachen, an den Ohren gezogen worden zu sein.
Dann verließ sie den Raum.
»Möchte jemand wetten, dass sie die Gäste dazu bringt, aus Angst das ganze Gemüse aufzuessen?«, fragte Sebastian.
»Die Wette würde ich nicht annehmen«, erwiderte Hastings. »Nicht heute.« Er blickte Sebastian an. »Warum dachtest du, wir wollten dich zum Gehen auffordern?«
»Ich bin ein Zauberer.«
»Rechtsbringer«, korrigierte Mr Finch.
Er musterte die drei Männer. »Meint ihr das Angebot ernst?«
Philo lachte leise. »Ein gefährlicher Inkubus-Zauberer als Gesetzeshüter und Rechtsbringer des Pfuhls. Was könnte besser passen?«

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