Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (11 page)

BOOK: Meat
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Vieh. Kühe. Und schon sind wir nicht mehr voneinander zu unterscheiden.

Als ihn einige erblickten und bewegungslos verharrten, fiel kurz darauf die gesamte Herde in eine angespannte Starre.

Das Brennen eines elektrifizierten Stachels im Gesäß schickte Snipe taumelnd die beiden Rampen hinab ― geradewegs in die Mitte der Tiere. Ihre Nasen prüften die Luft, die ihn umwehte. Viele von ihnen schreckten vor ihm zurück. Inzwischen sah er ihre Augen anders. Diese Augen glichen seinen.

Mein Gott, was geht bloß hinter diesen Augen vor? Was denken sie gerade?

Es war ihm unmöglich, es zu entschlüsseln.

Er hatte Angst, weiterzugehen, aber die Gatter schlossen sich hinter ihm und schoben ihn vorwärts. Auf seinen verkrüppelten Füßen humpelte er auf sie zu, doch wann immer er ihnen zu nahekam, wichen sie aus und drehten sich von ihm weg. Hunderte geschmeidige Körper, fetter als seiner und auf gewisse Art schöner. Sie hielten Abstand zu ihm, mieden argwöhnisch jegliche Berührung. Er betrachtete seinen eigenen Körper, verglich ihn mit den ihren. Sie waren größer, sahen trotz der Amputationen nicht unvollkommen
aus. Ganz im Gegenteil. Und sie schienen angesichts ihrer Situation unendlich gelassen.

Er hörte die zischenden, seufzenden Laute, die sie von sich gaben und auf eine völlig neue Weise klangen sie wie eine Sprache. Er versuchte, mit ihnen zu sprechen, aber beim Klang seines Zischens erstarrten ihre Gesichter in unwillig verkniffenen, ablehnenden Grimassen, als hätte er mit einer Gabel über eine Tafel gekratzt.

Mein Name ist Snipe. Greville Snipe. Ich arbeite ... ich habe in der Molkerei gearbeitet. Ich habe mich dort um die Kühe gekümmert. Vielleicht habt ihr von mir gehört.

Sein Gewisper sorgte bloß dafür, dass sie noch weiter zurückwichen.

Geliebter Vater. Nicht einmal das Vieh will mich noch haben. Sie akzeptieren mich nicht als ihresgleichen. Was bin ich, Herr? Was ist aus mir geworden?

Das stählerne Gatter schlug ihm in den Rücken. Ohne dass er etwas dagegen machen konnte, schob es ihn zwischen die Reihen der Tiere. Diese schreckten erneut zurück, scheuten weiterhin jeglichen Kontakt. Er war völlig allein unter den Auserwählten, denn für sie war er keiner der ihren.

Aus ihren Reihen löste sich ein Bulle, der Snipe angesichts seiner Größe und Masse zwergenhaft erscheinen ließ. Als Melker war er niemals einem dieser Riesen derart nahe gekommen. Nichtsdestotrotz war ihr Ruf ihm bekannt. Zwischen seinen Beinen schwang ein gigantischer Riemen und darunter das größte Paar Hoden, dass er jemals gesehen hatte. Der Körper des Bullen war nahezu lückenlos von dicken Fettschichten überzogen, doch die kräftige Muskulatur darunter zeichnete sich deutlich ab. Eingeschüchtert versuchte Snipe, seinem Blick auszuweichen und sah zu Boden. In ihm steckte nicht einmal mehr halb so viel Le
ben wie in diesem Wesen. Der massige Leib des Bullen war selbst unter Schock noch furchteinflößend genug. Das Tier nickte Snipe mit seinem kahlen Schädel kurz und unmissverständlich zu.

Snipe stürzte vorwärts, und das Vieh im Pferch trat zur Seite. Der Bulle folgte ihm auf dem Fuß und ließ ihm keine andere Wahl, als den Weg durch die sich öffnende Gasse zu nehmen. Sein Körper, traumatisiert vom beißenden Schmerz der Klingen, Klammern und Zangen, torkelte voran. Die Qualen und Demütigungen hatten ihm nicht nur die Kraft, sondern auch das Selbstvertrauen genommen, sich herumzudrehen und dem Bullen entgegenzutreten. Der Pferch verengte sich, wurde zu einem Korridor und schließlich zur Rampe. Er sah, wie sich vor ihm eine Stahlwand öffnete und eine Kuh in der Box dahinter verschwand. Dann geriet die Box außer Sicht. Eine neue erschien an ihrer Stelle.

Snipe zögerte und drehte sich herum. Der Bulle war direkt hinter ihm. Ihm blieb nur der Weg nach vorne. Er tat ein paar zögerliche Schritte und stoppte erneut. Sein Körper weigerte sich zu tun, was man von ihm verlangte. Die Box verschwand, und eine weitere nahm ihren Platz ein. Und noch eine.

Von irgendwo außerhalb des Pferchs ertönte ein Schrei.

»Was zur Hölle ist in diesem Pferch los? Sorgt dafür, dass sich diese verdammten Viecher bewegen. Das sind schon zwei, nein, sogar drei Ausfälle hintereinander. Nun macht schon, Leute. Haltet sie in Bewegung.«

Eine neue Box erschien. Der Bulle machte einen Schritt nach vorn, drängte Snipe gegen die stählerne Wand und schließlich hinein in die Box.

Er sah das Blut auf dem Boden, als die Gondel sich in Bewegung setzte und den Bullen und den Pferch hinter sich
zurückließ. Ein Stahlrahmen senkte sich über ihn herab, fixierte ihn in stehender Position und verhinderte jegliche Bewegung seines Kopfes. Nach vier kurzen Stopps kam die Gondel mit einem Ruck zum Stehen.

Eine kleine rechteckige Luke glitt auf, und er blickte in das Gesicht eines Mannes, das er vage aus der Belegschaftskantine erkannte. Die Augen des Mannes wirkten irgendwie stumpf, beinahe blind. Er setzte eine Pistole auf Snipes Stirn.

Ich bin Fleisch.

 

Jones war neu am Bolzenschussgerät, und dass er sich mit leeren Containern herumschlagen musste, nahm er persönlich. Wie sollte er sich jemals einen Bonus verdienen, wenn die Treiber an der Vereinzelungsrampe ihren Job nicht vernünftig erledigten? Die Klappe öffnete sich und endlich hatte er ein Tier zum Umlegen. Flüchtig blickte er in die Augen und für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, dass sie ihm von irgendwoher bekannt vorkamen.

»Gott ist gr...«

Als er begriff, dass dies keiner der Auserwählten war, brach er die Segnung ab.

Er zog den Abzug. Der Rückstoß versetzte ihm einen sanften Stoß.

Zisch-Klonk.

Sie sahen alle so gleich aus.

 

Bob Torrance war verärgert über die Verzögerungen an der Schlachtstraße. Irgendetwas geschah in den Herdenpferchen, aber er wusste nicht, was.

Während er von seiner stählernen Kanzel herabstieg, brüllte er:

»Woran hakt
es?«

Von den Pferchen brüllte der Sortierer zurück:

»Lieferung von Magnus, Boss. Ist schon erledigt.«

Torrance nickte befriedigt, als er unten ankam. Magnus' Lieferungen gingen immer auf Kosten der Produktionsrate, aber er war machtlos dagegen. Morgen würde er den neuen Jungen ein Stück weiter die Straße runter einsetzen und Eispickel zurück an die Bolzenschusspistole holen, um den Rückstand wieder aufzuholen. Jede Sekunde zählte. Aufgrund des Bevölkerungswachstums der Stadt stieg die Fleischnachfrage von Tag zu Tag an, und es lag in Torrances Hand, dafür zu sorgen, dass alle bekamen, was sie brauchten. Zumindest glaubten das hier alle. Und Torrance wurde gut dafür bezahlt, es ebenfalls zu glauben.

Er lief an Jones vorbei zur Tötungsbucht. Dort gab es immer einen Rückstand. Zwischen Bolzenschuss und Blutentzug wurde das Vieh mit um die Knöchel gelegten Ketten zu einer gigantischen stählernen Laufschiene hinaufgehievt, die gleich einer gut geschmierten Vorhangschiene unter der Fabrikdecke verlief. Während die Tiere portioniert wurden, schaukelten sie entlang der Schiene kopfüber von einer Station zur nächsten. Der erste Stopp war die Tötungsbucht.

Der Anstecher war dafür zuständig, den Hals jeder Kuh von der Kehle bis zum Halswirbel zu durchtrennen und den Körper dann an der Schiene bis über einen breiten Trog zu schieben, der das ablaufende Blut auffing und es in Sammeltanks weiterleitete. Später wurde es zu MFPBlutwurst weiterverarbeitet. Die zwischen Bolzenschuss und dem Erreichen der Tötungsbucht auftretenden Verzögerungen führten gelegentlich dazu, dass die Auserwählten das Bewusstsein wiedererlangten, noch bevor man ihnen die Kehle durchgeschnitten hatte. Aber das ließ sich nun mal nicht verhindern. Dieser Abschnitt war seit je eine Schwachstelle der Straße. Torrance hatte es mit der Statio
nierung von zwei Schlachtarbeitern an den Aufzugsketten probiert, aber der Zeitgewinn war marginal. Drei der sieben Auserwählten, die an der Schiene hängend auf das Messer des Anstechers warteten, zuckten bereits wieder. Ihre Bewegungen erinnerten Torrance an Entfesslungskünstler, die sich, kopfüber aufgehängt und in Zwangsjacke und Ketten geschnürt, innerhalb eines vorgegebenen Zeitlimits zu befreien versuchten. Das Vieh würde allerdings nirgendwo hin entwischen. Es waren bloß letzte Impulse, die die Nervenbahnen vom Gehirn zum Körper herunterwanderten. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Tod bereits eingetreten war. Erst wenn sie abermals zu atmen begannen und das für sie typische rhythmische Zischen und Seufzen wieder aufnahmen, war es ein Hinweis darauf, dass der Mann an der Bolzenschusspistole seinen Job nicht vorschriftsmäßig erledigt hatte. Manchmal weigerte sich ein besonders starkes Tier auch ganz einfach, schnell zu sterben.

Ein vierter Kadaver erschauderte, und sein Brustkorb hob und senkte sich ruckartig. Torrance zuckte mit den Achseln. Das Messer würde dem ein schnelles Ende setzen. Bei genauerer Betrachtung fielen ihm allerdings die frischen Verletzungen des erwachenden Tieres auf. Seine Fingerstümpfe waren schwarz und rot, und die Kastration konnte erst vor Kurzem durchgeführt worden sein. Von der Plakette an der Ferse sickerte noch Blut zum Knie herunter. Das also war Magnus' Lieferung. Das Ding, weder Mensch noch Auserwählter, begann mit pumpenden Beckenbewegungen um sein Leben zu ringen. Es stieß gegen die betäubten Tiere rechts und links von ihm, deren Leiber ein Zittern durchlief. Durch das Geschaukel drehte sich der Körper an der Kette, und Torrance konnte das Gesicht des Dings sehen.

Wie nicht anders zu erwarten, kannte er den Mann. Auch wenn er kahl und haarlos war und es gar nicht mehr
so einfach war, ihn richtig einzuordnen. Das Blut, das aus dem Loch in seiner Stirn herausströmte, bildete ober- und unterhalb der Wunde eine dicke Kruste und verwandelte sein Gesicht in eine bizarre Maske. Torrance erinnerte sich an die Gerüchte aus der Molkerei, dass dort jemand den Milchkühen ein wenig zu nahegekommen war. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Greville Snipe, der beste Melker, den MFP seit Jahren beschäftigt hatte. Torrance schüttelte den Kopf. Wie bedauerlich, dass der Mann sich offensichtlich seiner Grenzen nicht bewusst gewesen war. Die Ware zu entwerten, war das Dümmste, das mit Abstand Gefährlichste, was man ― ganz gleich, ob MFP-Angestellter oder nicht ― machen konnte. Es war selbstmörderisch. Snipe schien das ebenfalls herausgefunden zu haben. Zumindest beinahe, denn noch war es nicht vorbei mit ihm.

Snipes panischer Blick erfasste Torrance, aber das langsame Kreiseln der Kette lenkte sein angstvolles Starren schnell von ihm weg. Das Geräusch von in den Schienen laufenden Lagern unterbrach Torrances Gedankengänge. Der Anstecher zog Snipe in Position. Snipe zischte den Mann an ―auf dieser Schicht war es Burridge ―, und Burridge zog das Messer durch seine verstümmelte Kehle. Torrance beobachtete, wie sich Snipes Augen weiteten ― weiße Augäpfel, die in Blut schwammen, das sie langsam schwärzte. Aus dem Zischen wurde ein Blubbern. Burridge schwang Snipe zum Ausbluten über den Trog. Dort rastete das Lager der Kette wieder im motorisierten Abschnitt der Schiene ein und zog ihn sanft schaukelnd vorwärts. Wenn er schließlich die Kessel erreichen würde, die seine Haut für die Ablösung präparierten, würde er fünf Liter leichter sein.

Er wehrte sich weiterhin.

Fasziniert vergaß Torrance seine Inspektionstour und verfolgte Snipes Weg über den Trog. Was als sprudelnde Fon
täne begonnen hatte, verebbte langsam zu einem sickernden Rinnsal. Snipes Körper war inzwischen so weiß wie die Milch der Auserwählten. Von der blubbernden Oberfläche der Kochkessel stieg heißer Dampf auf. Snipes Augen rollten immer noch in ihren Höhlen. Der einzige Teil seines Körpers, der jetzt noch einen Rest Blut enthielt, war sein Kopf. Das, dachte Torrance, war die einzige Erklärung dafür, dass Snipe überhaupt noch am Leben war. War es tatsächlich möglich, dass irgendeine Kreatur ― ob Mensch, Auserwählter oder was auch immer ― ein solches Grauen vor dem Tod verspürte, dass sie den verzweifelten Willen aufbrachte, all diese Prozeduren zu überleben? Snipe krümmte sich, um dem brodelnden Wasser zu entgehen, aber es war keine Kraft mehr in seinen Muskeln.

Über die Laufschiene wurde Snipe automatisch kopfüber in den Kessel abgesenkt. Das Spritzen ließ Torrance einen Schritt zurückweichen. Vier Sekunden später wurde der Körper wieder hochgezogen, die Haut war nun gerötet und begann sich zu lösen. Snipes gestockte Augäpfel hatten aufgehört, sich zu bewegen, aber hier und da bebten und zuckten seine Muskeln immer noch. Torrance wusste, dass es sich dabei nicht um simple Nervenreflexe handelte. Die klaffende Wunde in seinem Hals war im Wasser geronnen, das Blut zu grauer Gelatine erstarrt. Snipes Kopf baumelte vom Ende seines Körpers, und die Wunde sah aus wie der Mund einer auf links gedrehten Puppe.

Torrance hielt an.

Jetzt gleich wird es enden. Jetzt. Ganz sicher.

Snipe hatte die rotierende Klinge erreicht, die den Kopf vom Körper trennen würde. Torrance wusste, ganz gleich, wie groß die Willenskraft war, die den Exmelker am Leben hielt, wenn der Stahl durch seine Halswirbel glitt, würde es endgültig vorbei sein. Wider Erwarten verspürte Tor
rance, wie ihn eine Woge der Erleichterung erfasste. Mit rauer Hand massierte er sich die Stirn und lief den Rest der Schlachtstraße ab, um seine stündliche Inspektion durchzuführen.

Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.

 

An diesem Abend aß Pastorin Mary Simonson Kutteln gegen ihre Magenschmerzen.

Für eine Weile ließen sie nach, aber nach weniger als einer Stunde kehrte das Stechen zurück. Sie spürte, dass der Vater sie für etwas bestrafte. Aber sie begriff nicht, was sie getan oder unterlassen hatte, um seinen Zorn auf sie zu lenken. Sie befolgte den Kodex des Fleisches, wie er in der Heiligen Schrift niedergeschrieben war. Sie hielt so viele Menschen auf dem Kurs der Fürsorge, wie es ihre Arbeitszeit zuließ. Was zuletzt, aufgrund der in sämtlichen Stadtvierteln kursierenden Gerüchte über einen häretischen Messias, nicht immer einfach gewesen war. Obwohl sie all dies voller Hingabe tat, ließ der Vater sie leiden. Ihr Magen schmerzte, als verdaute er einen Klumpen gesplittertes Glas. Sich die Faust tief in den Unterleib zu stoßen, schien ein wenig Linderung zu verschaffen.

Da sie allein lebte, wie man es von allen Pastoren der Fürsorge verlangte, verblieben ihr die Abende zur freien Gestaltung. Es gefiel ihr. Der Gedanke eines vom Abend bis zum Morgen im Hause herumlungernden Mannes und dem pausenlosen Gezerre lärmender Kinder verursachte ihr ein gewisses Unbehagen. Sie zog es vor, allein zu bleiben und, wann immer sie konnte, dem Vater zu dienen. Statt sich Stickarbeiten zu widmen, saß sie deshalb heute Abend über ihren Büchern und studierte die Schriften. Möglicherweise, dachte sie, habe ich in letzter Zeit nach der Arbeit zu viel Zeit mit Handarbeiten vergeudet, anstatt sie mit der Medi
tation über die Heiligkeit des Fleisches zu verbringen. Viel-leicht hat der Vater mir deshalb diese Schmerzen gesandt.

BOOK: Meat
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