Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (10 page)

BOOK: Meat
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Der dauerte nicht lang.

Der Stab zerrte ihn auf die Beine. Obwohl sein Magen völlig leer war, würgte und würgte er und versuchte, die Flüssigkeit aus seiner Kehle zu bekommen. Als er die Augen öffnete, war er halb erblindet. Über allem lag ein weißer Nebel. Trotzdem konnte er sehen, wie sich das Haar von seinem Körper löste. Dann hämmerte der Hochdruckschlauch auf ihn ein. Sein eiskalter Strahl, anfangs hochwillkommen, zumindest die ersten paar Sekunden, während er das Brennen hinwegwusch, verursachte schon bald höllische Schmerzen. Cleaver zielte auf jeden einzelnen Körperteil und schleuderte ihn herum, damit er jeden Winkel erreichen konnte. Snipe zitterte heftig.

Er hatte sein gesamtes Haar verloren.

 

Shanti beobachtete den Bullen durch einen Spalt zwischen Gatter und Angel. Er lag zusammengerollt wie ein riesiges Baby auf der Seite. Erstaunlich, dachte er, wie verändert sie aussehen, wenn sie schlafen. Der Bulle trug die Nummer 792 auf eine, in das dünne Fleisch zwischen Achillessehne und Knöchel gebohrte, blaue Markierung genietet. Die Markierungsbolzen waren aus rostfreiem Stahl und gut einen halben Zentimeter dick. Den Auserwählten war es unmöglich, sie zu entfernen, aber die Viehtreiber hatten dafür eine spezielle Zange. Die Neugeborenen wurden während des gleichen Zeitraums mit den Markierungen gekennzeichnet, in welchem auch die meisten anderen Rituale an ihnen durchgeführt wurden. Wenn sie noch jung genug waren, um den Schmerz zu vergessen. War das Piercing erst einmal verheilt, konnten die Nummern und Farbchiffren je nach Bedarf und abhängig von der letztendlichen Verwendung des Tieres ausgetauscht werden.

BLAU-792 war ein Preisbulle. Seine Gene hatten über die Jahre Hunderte, womöglich Tausende von Kälbern her
vorgebracht. Einige seiner Nachkömmlinge, sehr wenige, waren ebenfalls Bullen geworden, die wiederum Kälber zeugten, um die Zucht in Gang zu halten. Shanti konnte jeden einzelnen Nachkommen von BLAU-792 erkennen. Es waren nicht die schönsten Tiere der Herde. Sie waren grobknochig, zäh und kräftig. Aber es waren diejenigen, die Seuchen, Kälte und die zahlreichen reglementierten Routinen überstanden, die das Leben in der Herde bestimmten. Es waren die Tiere, die ihren Zweck erfüllten. Alle besaßen seine blauen Augen und sein rundes Gesicht. Die meisten von ihnen hatten seine geschwollene Knubbelnase. Sie waren in den Herden der Milchkühe zu finden, in den Bullenpferchen, in den Kälbergehegen und unter dem Mastvieh. Nur die Bullen und Milchkühe würden so lange leben wie BLAU-792. Und nur den besten Bullen von ihnen würde eine so erfüllte Existenz bevorstehen wie ihm.

Shanti beobachtete den Bullen beim Schlafen und fragte sich, wie viele seiner Nachkommen er wohl schon beseitigt hatte. Wenn sich die Klappe der Beförderungsanlage öffnete, sah er oft in BLAU-792-Augen der zweiten oder sogar der dritten Generation. Und hier lag ihr Vorfahr, immer noch am Leben. Immer noch voll im Saft, wie die Viehtreiber zu sagen pflegten.

Das Stroh, auf dem er lag, raschelte. BLAU-792 bewegte sich. Shanti erstarrte. Wenn der Bulle bemerkte, dass er beobachtet wurde, konnte es problematisch werden. Vieh, das eine wie auch immer geartete Beziehung zu seinen menschlichen Herren aufbaute, neigte dazu, sein Verhaltensmuster zu ändern und unberechenbar zu werden. Fleisch hatte bei MFP viele Bedeutungen. »Unberechenbar« war eine davon. Shanti mochte es, diesen speziellen Bullen zu beobachten. Er wollte nicht in der Situation sein, ihm die Druckluftwaffe zwischen die Augen setzen zu müssen. Noch nicht.

Nicht, bevor die Zeit von BLAU-792 definitiv und unwiderruflich gekommen war.

Der Bulle setzte sich auf, als hätte ihn ein plötzliches, lautes Geräusch aufgeschreckt. Shanti trat von dem Spalt zurück und hielt einen Moment lang den Atem an. Es schabte und raschelte erneut im Pferch, als der Bulle auf die Beine kam. Daraufhin herrschte einige Sekunden lang völlige Stille. Shanti nahm sich vor, so rasch und lautlos wie möglich zu verschwinden, sollte der Bulle sich ihm nähern. Stattdessen hörte er, wie der Bulle zur Rückseite des Pferchs ging und begann, mit seinen Fingerstümpfen gegen die Wand zu klopfen. Shanti hörte sein wisperndes Zischen und Seufzen. Er fragte sich, wie vielen anderen Angestellten von Magnus-Fleisch-Produktion diese Art der Verständigung unter den Auserwählten aufgefallen war. Er nahm an, dass eigentlich jeder von ihnen gelegentlich die Muße hatte, sie zu beobachten. Aber niemand zeigte nur annähernd so viel Interesse daran, wie er es tat.

Das scheinbar zufällige Klopfen und Ächzen ging weiter, und Shanti kroch an den Spalt zurück. Im Inneren sah er, dass BLAU-792 ein Ohr auf die Aluminiumverkleidung presste. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Vermutlich freute er sich, dass er andere Tiere antworten hörte und wusste, dass er nicht allein war.

 

Benebelt und geschwächt von den Chemikalien in der Wanne, war Snipe kaum in der Lage, Widerstand zu leisten, als Cleaver ihn in Richtung eines der sarkophagförmigen Tische zwang. Die Schlinge schnürte Snipes Luftröhre und die Blutzufuhr zu seinem Kopf ab. Kurz bevor er den Tisch erreichte, wurde ihm schwarz vor Augen.

Das war wohl Cleavers Methode, seine Aktivitäten möglichst störungsfrei zu halten. Als Snipe wieder zu sich kam,
blendete ihn erneut das grelle Licht, und er lag mit ausgestreckten Gliedern auf dem Block. Cleaver zog gerade einen Gurt an seinem rechten Knöchel zu. Seine restlichen Gliedmaßen waren bereits fixiert, aber es schien, als wollte Cleaver jede noch so kleine Bewegung verhindern, um nicht bei der Arbeit gestört zu werden. Er legte einen Lederriemen über seine Brust und zog ihn derart fest, dass Snipe durch das Zwerchfell atmen musste. Ein Gurt wurde über seine Hüfte gespannt, ein weiterer drückte seine Knie flach gegen den Tisch. Der letzte Riemen war für seinen Kopf bestimmt. Er versuchte sich gegen ihn zur Wehr zu setzen, denn dieser würde verhindern, dass er weiterhin beobachten konnte, was geschah. Nicht, dass er es wirklich sehen wollte, aber es war die einzige Kontrollmöglichkeit, über die er noch verfügte. Im Bemühen Cleavers Griff auszuweichen, warf er den Kopf von einer Seite auf die andere. Für eine Weile gelang es ihm sogar, zu verhindern, dass er den letzten Gurt fixieren konnte. Erst als Cleaver einen flachen, hölzernen Block unter seinen Nacken schob, begriff er, dass Cleaver wollte, dass er sich wehrte, damit er das Spiel der Gurte seinen Erfordernissen entsprechend einstellen konnte.

Das Stück Holz schränkte seine Widerstandsmöglichkeiten nahezu völlig ein, aber er gab nicht auf. Die Messerspitze erschien, riesig und verzerrt, wenige Millimeter von seinem rechten Auge entfernt.

»Wegen deines albernen Gezappels komme ich noch in Verzug. Blenden ist nicht unbedingt ein Teil des Rituals«, schnaubte Cleaver. »Aber wenn du es so willst, kann ich es gerne dazu machen.«

Snipe hörte auf, sich zu bewegen.

»Das gefällt mir schon wesentlich besser.«

Cleaver legte einen Gurt über seine Stirn und zog ihn fest. Durch den Block unter seinem Nacken wurde Snipes Kehle
nach oben gedrückt, als die breite Lederschlaufe sich über seinen Brauen verengte. Er konnte noch atmen, aber nicht mehr schlucken.

Als Cleaver die Spitze des Skalpells in seinen Kehlkopf stieß, schrie Snipe zum ersten und letzten Mal. Das Geräusch brach ab.

 

Rory Magnus lehnte sich in seinem Sessel zurück ― an das Knarren hatte er sich bereits so gewöhnt, dass er es nicht einmal mehr bemerkte ― und legte die Füße mit den schweren Stiefeln auf die verschrammte Eichenplatte seines Schreibtischs. Er zündete einen neuen Stumpen mit dem alten an und warf den ersten in den Aschenbecher, ohne sich darum zu kümmern, ob er noch glimmte.

Aus der Türe in der Rückwand seines Arbeitszimmers klangen die gedämpften Geräusche von Snipes Martyrium. Das Sprudeln, Rauschen und Brausen seiner erzwungenen körperlichen Entleerung, seines unvermeidlichen Tauchgangs und der Druckstrahlung. Er hatte das alles schon hundert, nein, tausend Mal vorher gehört, und er konnte dennoch nie genug davon kriegen. So herrschte man über die Stadt. So garantierte man die hohen Standards der Fabrik. So verdiente man sich Respekt. Und so erstickte man jegliche Opposition im Keim.

Ein Luftzug bewegte den Vorhang vor der Tür und kurz darauf roch Magnus die Aromen von Scheiße, Galle und der ätzenden Dämpfe des Tauchbads. Es war ungewöhnlich, dass er noch kein Gejammer von dem kuhfickenden Melker gehört hatte. Aber gleich, jeden Moment musste es kommen, der ...

Der Schrei.

Der erste Schnitt war noch leicht zu ertragen, trotzdem schrien alle. Jeder einzelne von ihnen. Und dann brach der
Schrei so abrupt ab, als wäre eine Axt auf den Block herabgesaust. Effizient, Mr. Cleaver. Er lächelte.

Nach dem Schrei folgte ein anderes Geräusch, nicht weniger intensiv. Eher noch mehr. Magnus stellte sich vor, wie sich Snipes Lippen bewegten, als er keine Worte mehr herausbrachte. Das stumme Betteln und wortlose Zischen der Transformation.

Tiefere, komplexere Schnitte würden folgen.

Magnus hörte zu, als spielten fremde Musiker ein vertrautes Duett.

Er hörte zu, und es war gut.

  
6

 

Im Archiv war es staubig. Je weiter sich Pastorin Mary Simonson in den Jahren zurückbewegte, desto verstaubter wurden die Aktenkartons und die Regale, in denen sie aufbewahrt wurden. Die Stille lastete auf ihnen wie der Staub; Schicht um Schicht verschluckte sie das Holz, die Pappe, das Papier.

Der Archivar hatte seinen Stempel in ihren Fürsorgepass gedrückt. Ein Mann mit schuppiger Haut, dem drahtiges weißes Haar aus Ohren und Nase spross und dessen ausgebleichtem Pullunder und abgetragenen Kragenecken etwas Antiquarisches anhaftete. Er verströmte den Geruch eines Mannes, der alleine lebt. Ein Archivkontorist ging ihm zur Hand. Sie erfassten sämtliche Geburten, Todesfälle und Hochzeiten der Stadt und hefteten sie in Pappordnern ab, die sie in braunen Kartons auf den Regalen ablegten.

Pastorin Mary Simonsons Ausflug in die hintersten Winkel des Archivs führte sie bis tief in jene Bereiche, in denen der Staub seit Jahren, womöglich Dekaden, unberührt war. Allzu selten verschlug es jemanden nach dort hinten, und nur sehr wenige Fürsorgeangestellte bekamen überhaupt eine Zutrittsgenehmigung. Whittaker, der weißhaarige Archivar, und sein Kontorist, Rawlins, wurden dafür bezahlt, möglichst gewissenhaft Protokoll zu führen ― diesen Ort sauber zu halten, gehörte nicht zu ihren Aufgaben. Und das konnte man sehen.

Die Füße der Pastorin schlurften Spuren in den Staub, und
ihre Robe fegte über das Linoleum. Sie musste ihre Säume anheben, um nicht den ganzen Schmutz mitzuschleifen.

Jede Berührung der Aktenkartons wirbelte neue, dichte Staubwolken auf, die sie zum Würgen und Niesen brachten. Die Spasmen ihrer Atemwege ließen weitere Wolken aufsteigen. Bald hatte sich der Staub in ihren Haaren, den Augen, den Ohren und überall auf ihrer Kleidung festgesetzt. Sie war kurz davor, aufzugeben, als sie schließlich den Karton fand, der die mit S beginnenden Nachnamen enthielt und aus dem Jahr stammte, das sie suchte. Nun konnte sie ihre Neugierde befriedigen ― und dann endlich wieder gehen. Diesen Ort und all diesen Dreck schnellstmöglich hinter sich lassen. Sie hob die dicke, rote Manschette ihres Ärmels vor Mund und Nase und lüftete den Deckel des Kartons.

Der jungfräuliche Glanz der Pappordner im Inneren überstrahlte auf der Stelle alles andere. Sie leuchteten geradezu. Glücklich, durchgehalten zu haben, blätterte sie mit den Fingern die Mappen bis »Shanti« durch und zog den entsprechenden Ordner heraus. Doch der enthielt keineswegs den erhofften Geburtsvermerk. Stattdessen stieß sie auf eine Eintragung bezüglich eines toten Kindes namens Richard Arnold Shanti. Der Junge war während der Niederkunft erstickt. Als Mutter der Totgeburt war eine Elizabeth Mary Shanti dokumentiert.

Einen langen Augenblick starrte sie durch die Registerkarte und die darauf vermerkten Informationen hindurch ins Leere. Eine dünne Schicht Staub setzte sich auf den glänzenden Akten ab und war, nachdem sie die Ordner in ihre vorherige Position zurückgelegt und den Deckel wieder ordnungsgemäß verschlossen hatte, mit ihnen im Karton gefangen.

Ein kleiner Transporter brachte Snipe zurück zur MFP-Fabrik. Es gab keine Möglichkeit zu sitzen, und der Laderaum war nicht hoch genug für ihn, um zu stehen. Was unter all seinen Unannehmlichkeiten noch die harmlosesten waren.

Die Stumpen seiner Finger und die Stellen, an denen seine Daumen gewesen waren, hatte Cleaver mit weißglühenden Eisen kauterisiert. Zumindest war es schnell vorbei gewesen. Ruckzuck hatte der Mann die Finger an den Knöcheln abgetrennt und die Blutungen innerhalb von Sekunden versiegelt. Aber der Schmerz war allgegenwärtig. Metallene Klammern hielten die Reste des Skrotums dort zusammen, wo noch vor Kurzem seine Hoden gewesen waren. Aus seinem Mund tropfte blass rosafarbener Sabber: Cleaver hatte ihm sämtliche Zähne gezogen.

Er sah das Blut und das durchsichtige Wundwasser, das immer noch aus den verkrusteten Fingerknöcheln hervorbrach, und das noch warme, tiefrote Rinnsal, das aus seinem Schritt auf den Wagenboden tröpfelte. Auch die Wunde in seiner Kehle wurde von Klammern zusammengehalten, aber sie schmerzte von allen am wenigsten. Der Dreck von der Ladefläche des Lieferwagens drang in die geschwärzten Löcher an seinen Füßen ein, die von seinen großen Zehen geblieben waren, und er konnte nichts dagegen tun.

Über Geröll und abgeplatzten Asphalt holpernd, dabei Schlaglöcher umkurvend, rumpelte der Wagen über die kaum gewarteten Landstraßen auf die Zufahrt zu Magnus' Fabrik. Immer wieder wurde Snipe gegen die Wände und auf den Boden geschleudert. Jeder Versuch, das Gleichgewicht zu halten, hätte ihm nur noch weitaus schlimmere Schmerzen verursacht.

Der Transporter wurde langsamer und bog bald darauf ab. Da wusste Snipe, dass sie nun das Haupttor erreicht
hatten. Draußen hörte er Geräusche: Der Fahrer zeigte den Sicherheitsleuten seinen Passierschein. Mit deutlich gedrosseltem Tempo fuhr der Wagen weiter.

Als sich die Hecktüren öffneten, blickte Snipe direkt in die Sammelpferche des Schlachthauses. Eine Rampe wurde von der Ladefläche des Wagens auf den Fabrikboden hinabgelassen, von wo eine größere Rampe in den Pferch führte, geradewegs zwischen die Massen der Auserwählten. Trotz des Gedrängels wirkte es beinahe behutsam, ja fast zärtlich, wie sie sich aneinander vorbeischoben.

BOOK: Meat
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