Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (13 page)

BOOK: Meat
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Als die sich an seine Ansprache anschießenden Gespräche vorüber waren und Collins alle, um ihrer eigenen Sicherheit willen, nach Hause geschickt hatte, blieb der Mann mit dem hinter dem dichten Bart verborgenen ausgemergelten Gesicht im Hintergrund stehen. Zwei von Collins' dienstältesten Anhängern, Staith und Vigors, beide aufgrund ihrer Größe zu seinem Schutz ausgewählt, bemühten sich, ihn herauszukomplimentieren. Doch er beharrte darauf, zu bleiben. Auf ein deutliches Wort von Collins hoffend, blickten die Türsteher zu ihm herüber. Sie waren es nicht gewohnt, Gewalt anwenden zu müssen.

»Er ist in Ordnung. Lasst ihn bleiben. Vergewissert euch, dass der Rest nach Hause gegangen ist, und habt ein Auge auf Leute, denen wir nicht trauen können.«

Sie verließen die Garage und schlossen die Tür hinter sich.

Collins, kahlrasiert, den obligatorischen, wärmenden Schal um den Hals geschlungen, und der Fremde im schweren Mantel waren nun allein. Collins lächelte, um ihn zu beruhigen, aber der Mann blieb still. Als wäre er verlegen.

»Vergeben Sie mir«, begann er schließlich. »Es ist nicht so, als würde ich Ihnen nicht glauben ...«

»Das alles muss man erst einmal verarbeiten«, sagte Collins. »Das fällt niemandem leicht. Ganz besonders dir nicht, wie ich mir vorstellen könnte.«

Der Mann tat einen Schritt Richtung Tür, blieb dann aber stehen.

»Kennen Sie mich?«, fragte er.

»Nein. Nicht wirklich. Aber ich denke, ich habe dich schon mal gesehen. Du läufst, nicht wahr?«

Der Mann nickte.

»Du scheinst recht gut in Form zu sein. Wenn auch etwas dünn.«

Das Weiß in den Augen des Fremden blitzte auf, doch er beruhigte sich sofort wieder.

»Ich bin es so leid, dieses Wort zu hören: >dünn<«, sagte er. »Können Sie mir wirklich helfen? Ich habe alles in meiner Macht Liegende getan. Aber jetzt hat sich die Fürsorge eingemischt, und ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll.«

Collins kratzte sich im Nacken und seufzte.

»Ich kann dir helfen, aber das Räderwerk der Stadt vermag auch ich nicht aufzuhalten, wenn es einmal läuft. Haben sie dich erst am Kragen, bleibt dir kaum etwas übrig, als zu tun, was sie verlangen. Hast du Familie?«

»Eine Frau. Zwei Kinder. Es ist nicht einfach zu Hause, jetzt gerade.«

»Verstehe. Darf ich dich fragen, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst?«

Die Frage ließ den Mann zusammenzucken. Er senkte den Kopf.

»Das könnte ich niemals sagen. Von allen Menschen am wenigsten Ihnen. Nicht hier, nicht an diesem Ort.«

»Keine Angst, das macht gar nichts. Ich denke, ich weiß ohnehin, was du tust. Eben deshalb, und weil du dich bemühst, ein anderer zu werden, bist du hier umso willkommener. Einer wie du, der den Pfad der Einsicht beschreitet und sich wandelt, das wäre ...«

»Ich habe mich bereits verändert, Mr. Collins. Ich bin nicht mehr derselbe, der ich einmal war. Sie können sich
keine
Vorstellung davon machen.«

Collins nickte, die Augen geschlossen.

»Du glaubst vielleicht, ich könnte es nicht. Aber ich wäre unmöglich in der Lage zu tun, was ich hier tue, wenn ich nicht verstehen würde, was in den Menschen vorgeht. Dieses Verständnis ist die Grundlage für alles andere. Ich bin mir sicher, dass du weißt, wovon ich rede. Denn auch du besitzt diese Gabe. Du hast alles getan, um dich zu ändern, und nun bist du zu mir gekommen. Auf der Suche nach dem letzten Baustein, der dir hilft, es zu vollenden. Ich kann dir helfen. Und das werde ich. Erledige die Übungen, die ich dir aufgetragen habe, und schon bald wirst du es sehen.«

»Ich will keine Rituale. Keine Religion mehr.«

»Dies ist keine Religion. Es gibt kein Dogma. Es gibt keine Lügen. Versuche es. Wenn es nicht funktioniert, vergiss einfach, dass wir uns jemals begegnet sind.«

»Ich sehe nicht, wie mir das helfen soll.«

»Nein, natürlich nicht. Gehe also und finde es selbst heraus. Solltest du weiteren Rat benötigen, komm und besuche mich. Auch wenn ich bezweifle, dass das nötig sein wird. Ein Mann wie du sollte das Ziel auch alleine errei
chen. Du wirst es spüren. Ich weiß, dass du das wirst. Und wenn du erst verstanden hast, wie ich dir geholfen habe, wirst du vielleicht zurückkehren, um mir zu helfen.«

»Vielleicht werde ich das tun. Wenn ich dann immer noch eine Familie habe. Wenn ich dann noch am Leben bin.«

John Collins reichte ihm die Hand. Der Mann zögerte und streckte ihm dann die seine entgegen. Sie schüttelten einander die Hände, und Collins konnte mehr spüren, dass sich der Griff des Mannes nicht komplett um seine Hand schloss, als dass er es sah. Er konnte nicht hinsehen, denn ihm war das schwache Aufflackern eines Lichtes in den Augen des hageren Mannes aufgefallen.

 

Der beißende Rauch und das Spritzen des siedend heißen Fettes ließ sie zwischen Hunger und Ekel schwanken. Mit einer großen hölzernen Zange wendete sie das Fleisch und presste das halb durchgegarte Stück gegen den Pfannenboden, damit es schneller gar wurde. Der Druck hielt ihre Hand still. Es waren längst nicht mehr bloß die Magenschmerzen, die Pastorin Mary Simonson beunruhigten.

Jeden Morgen erwachte sie mit einem nagenden Schmerz im Unterleib. Das Gefühl, ihr Innerstes nicht mehr unter Kontrolle zu haben, von ihm abgetrennt zu sein, hielt sie den größten Teil der Nacht über wach und scheuchte sie morgens aus dem Bett. Jeder neue Tag wurde von Übelkeit und Schwindel begleitet, wenn sie die Füße aus dem niedrigen, schmalen Feldbett schwang, in dem sie schlief. Die seit einigen Wochen grassierende Krankheit konnte nicht die Ursache sein: Das frühmorgendliche Schwindelgefühl verspürte sie bereits seit Monaten.

Sie bekam ihr Frühstück nur noch mit Mühe herunter, aber als Pastorin erwartete man von ihr, dass sie drei volle
Mahlzeiten am Tag zu sich nahm, von denen jede das Fleisch der Auserwählten enthielt. Den Pastoren galt der Verzehr des Fleisches als Sakrament. Für die einfachen Bürger war Fleisch bloß ein Weg, dem Verhungern zu entgehen. Zur Heilung ihres Magens sollte sie eigentlich Kutteln essen, aber die waren ihr für die erste Mahlzeit am Morgen zu mühsam zu kauen und zu schlucken. Stattdessen war sie dazu übergegangen, sich ein kleines Kotelett oder einige Scheiben geräucherten Specks zu braten und dazu ein Glas Milch zu trinken.

Das neue Problem war ihr zum ersten Mal beim Kochen aufgefallen. Sie war unfähig, die Pfanne oder den Bratenheber still zu halten. Wenn sie ihre gesamte Willenskraft auf ihre treulosen Hände konzentrierte, gelang es ihr, das Schütteln auf ein harmloses Zittern zu reduzieren. Aber sie konnte es nicht vollständig stoppen. Nach wenigen Tagen hatte das Zittern andere Teile ihres Körpers erfasst. Als sie an diesem Morgen gallig und unausgeglichen erwachte, bebte der ganze Raum.

Es kostete sie einige Sekunden, herauszufinden, dass es ihr Kopf war, der zitterte, nicht ihre Umgebung. In den Büros der Fürsorge oder der Zentralkathedrale verlor niemals jemand auch nur ein Wort darüber, aber
Das Zittern
war ein weit verbreitetes Gebrechen unter den Pastoren der Fürsorge. Es hatte schon viele niedergestreckt, und oftmals waren die Erkrankten nicht mehr aufgestanden. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen. Der Großbischof der Fürsorge erwähnte gelegentlich die Bürden, die den Pastoren auferlegt seien. Sie verstand das als Hinweis auf die zahlreichen Krankheiten, an denen die Pastoren litten und auf ihre kurze Lebensspanne. Nur wenige Städter wurden älter als fünfzig, aber die Pastoren konnten sich glücklich schätzen, wenn sie die fünfundvierzig erreichten.

Pastorin Mary Simonson nahm an, dass die Pastoren ihre Anfälligkeit für Krankheiten den Anforderungen ihres Berufs zu verdanken hatten. Das Buch des Gebens zu predigen ― so kurz es auch war ― und für die Aufrechterhaltung moralischer Standards unter den Bürgern zu sorgen, wurde zunehmend schwieriger. Die Gewalt und Aggression in der Stadt nahm täglich zu. Die friedenssichernden Maßnahmen der Fürsorge gewannen also zunehmend an Notwendigkeit. Inzwischen war sie beinahe wöchentlich gezwungen, außer Kontrolle geratene Bürger mit Gewalt zur Räson zu bringen. Früher war es noch möglich, solche Missetäter in den Schoß der Gemeinde zurückzugeleiten. Heute war es schon fast Standard, dass man ihnen den Status aberkannte und sie zu Magnus' Anwesen brachte, bevor sie in die Fabrik verfrachtet wurden.

Der Großbischof erwähnte ebenfalls ― gemeinhin in derselben Ansprache, in der er auf die »Bürden« verwies ―, dass es viele Segnungen gäbe, welche die Leiden im Leben eines Pastors aufwögen.

Er hatte Recht.

Ein Pastor musste niemals Hunger leiden. Das ihnen zugeteilte Fleisch der Auserwählten wurde aus den Steuereinnahmen der Stadt finanziert. Pastoren begegnete man mit Achtung, ganz gleich, wohin sie gingen, und sie hatten mehr Macht als irgendein anderer Bürger. Sie genossen höheres Ansehen als beispielsweise die Arbeiter der MFP-Fabrik, und sie waren darüber hinaus deutlich gebildeter. Sie waren Kapazitäten in Medizin-, Gesetzes- und ― selbstverständlich ― Glaubensfragen und galten als erfüllt von göttlichen Kräften. Das gemeine Volk fürchtete sie. Und es war gut, gefürchtet zu werden, denn Abyrne war ein gefährlicher Ort.

Das Filet war nun durch und außen schwarzbraun gebraten. Dadurch, dass sie etwas Fett in die Pfanne gegeben
hatte, war seine verschmorte Kruste knusprig und salzig. Sie legte das immer noch brutzelnde Fleisch auf einen Teller, sprach ein kurzes Gebet und schnitt hinein. Es war wie immer beste Qualität: gut abgehangen, bevor es zerteilt wurde. Ebenfalls ein Privileg der Pastoren: Die meisten Bürger bekamen Fleisch, das nach der Schlachtung eilig ausgeliefert wurde und deshalb längst nicht so aromatisch war. Früher hatte sie ihr Fleisch ausschließlich scharf angebraten und blutig gegessen, aber seit ihrer Erkrankung hatte das Bedürfnis, es durchzubraten und es schließlich sogar ankohlen zu lassen, immer stärker zugenommen. Inzwischen aß sie hartes, beinahe schwarzes Fleisch. Und selbst das bereitete ihr Schwierigkeiten.

Als sie ein Stück mit der Gabel zum Mund führte, schepperte das Messer in ihrer rechten Hand gegen den Teller. Sie legte das Messer beiseite und lauschte dankbar der Stille. Während sie kaute, überdachte sie ihr Vorgehen Richard Shanti betreffend.

Er war ein Mann mit einem makellosen Leumund bei MFP. Sein Ruf bezüglich der Geschwindigkeit und Effizienz seiner Arbeit hatte sich bis weit über die Mauern der Fabrik herumgesprochen. Nicht selten segneten die Städter auch ihn, wenn sie ihr Fleisch segneten, auch wenn Pastorin Mary Simonson bezweifelte, dass ihm diese Tatsache bewusst war. So still und introvertiert wie Shanti war, konnte sie sich kaum vorstellen, dass er allzu viel von dem wahrnahm, was außerhalb seines eigenen Kopfes geschah. Sie konnte solche Leute nicht ausstehen. Zu eigenständig, zu unabhängig. Die Bürger sollten leicht zu beeinflussen und durchschaubar sein. Man sollte wissen, woran man bei ihnen war. Richard Shanti schien keine dieser Qualitäten zu besitzen. Er war ein unbeschriebenes Blatt. Unbeschriebene Blätter waren eine Bedrohung für die Allgemeinheit.

Wenn sie allerdings gegen ihn ermittelte und sich diese Entscheidung schlussendlich als falsch erweisen sollte, oder wenn sich herausstellte, dass die Aufzeichnungen im Archiv fehlerhaft waren ― das wäre nicht das erste Mal ―, könnte das am Ende ein schlechtes Licht nicht nur auf sie selbst, sondern die gesamte Fürsorge werfen. War es tatsächlich von Bedeutung, dass sein wirklicher Name möglicherweise nicht Richard Shanti war? Der Mann war ein Gewinn für die Stadt. War es nötig, dass irgendjemand seine Abstammung erfuhr?

Sie könnte die ganze Sache problemlos auf sich beruhen lassen. Ihre Gesundheit war angegriffen, und der zusätzliche Druck war alles andere als gut für sie. War es das wirklich wert? Oder sollte sie ihre Energie besser auf ihre täglichen Pflichten verwenden? Ihr Besuch im Archiv war Wochen her, und sie hatte immer noch keine Entscheidung getroffen. Möglicherweise gab es eine diskretere Herangehensweise. Beispielsweise konnte sie etwas mehr Zeit in das Lesen von Berichten investieren und Shantis Familie bis auf Weiteres fernbleiben. Sie hatten zwei wunderschöne kleine Mädchen mit tadellosen Manieren, die bloß ein kleines bisschen übermütig waren. Es wäre eine Schande, mit bloßen Spekulationen die Familie zu zerrütten. Nein, sie würde abwarten. Sie konnte mehr erreichen, wenn sie vorläufig niemandem gegenüber etwas erwähnte. Sie musste bloß mehr Zeit im fingerdicken Staub des Archivs verbringen. Inzwischen erschien ihr die Idee beinahe reizvoll. Immerhin wäre sie eine Weile weg von den rauen Straßen Abyrnes und seinen degenerierten Einwohnern.

Als sie das Steak halb verzehrt hatte, blieb ihr ein Stück tief in der Kehle stecken. So weit unten, dass es schon fast in ihrem Magen war. Sie schluckte noch einmal, versuchte mehr Speichel zu produzieren, aber der Brocken steckte fest. Sie konnte frei atmen, es bestand keine Gefahr, dass
sie erstickte, aber es war schmerzhaft und es schien sich nicht mehr zu lösen.

Sie griff nach ihrem Glas Milch und hob die süße Flüssigkeit schwappend an ihre Lippen. Sie nahm einen langen, tiefen Schluck und wartete darauf, dass er den Klumpen halbzerkautes Fleisch hinunterspülte. Die Milch floss genau bis zu dem Fleischbrocken. Dann kam ihr alles wieder hoch. Sie hechtete zur Spüle, erreichte sie aber nicht.

Sie würde ihre religiösen Pflichten erfüllen und auch heute, wie sie es immer tat, drei Mahlzeiten des Auserwählten-Fleisches verzehren. Aber sie war nicht überzeugt davon, dass sie auch nur eine davon bei sich behalten konnte.

 

Maya hatte keinen Grund, sich schuldig zu fühlen.

Der Fabrik eine Mitteilung zukommen zu lassen, war der unangenehmste Teil gewesen. Sie fühlte sich tagelang schlecht deswegen. Nun, vermutlich eher stundenlang. Zumindest bevor und nachdem sie es getan hatte. Aber welche Wahl hatte sie denn auch gehabt? Immer wieder stellte sie sich dieselbe Frage, und jedes Mal ignorierte sie die Antwort. Sie hatte nichts davon geplant. Und es war kein Betrug, den sie vorbereitete. Sie tat bloß, was nötig war. Sie bemühte sich, eine schwierige Situation zu bewältigen ―eine, derer sich ihr Mann nicht annehmen wollte.

An jenem Abend, als die Pastorin sie besuchte, hatte Richard Fleisch mit nach Hause gebracht ― und es war gutes Fleisch gewesen. Das Beste, das man kriegen konnte. Seitdem hatte es keines mehr gegeben. Die versprochenen Kilos, der Rucksack voller Bratenstücke, Steaks, Koteletts und Hack, der ihnen zustand, und den er als Mann des Hauses verpflichtet war, zu besorgen, blieben aus. Er war schwach und wortbrüchig, erneut zum Opfer seiner erbärmlichen Obsession geworden.

BOOK: Meat
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