Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (32 page)

BOOK: Meat
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Als er an ihrer Schwelle stand und in die Tiefe blickte, sah er nichts als Dunkelheit. Und einige Stufen, die hinab in die Finsternis führten. Das war alles.

 

Noch vor wenigen Augenblicken war er der festen Überzeugung gewesen, dass keine Umgebung schlimmer als das verfallene Viertel sein konnte. Nun umgab ihn bloß noch absolute Dunkelheit. Er versuchte, nicht daran zu denken.

Mit den Händen tastete er sich die Wand entlang und vergewisserte sich mit den Füßen, dass weitere Stufen folgten und der Boden nicht plötzlich vor ihm abbrach. Alle paar Stufen drehte er sich zurück, um sich zu vergewissern, dass er das Licht des Eingangs noch sehen konnte. Dann stieg er weiter in die Tiefe.

Das verlassene Viertel. Jetzt, wo er versuchte, nicht darüber nachzudenken, in was er da herabstieg, wurde ihm klar, dass der Begriff »Viertel« völlig unzutreffend war. Das von eingestürzten Gebäuden und zahllosen anderen Spuren maßloser Zerstörung bedeckte Gebiet war gewaltig. Der Teil, den er gesehen hatte, war um ein Vielfaches größer als das Stadtzentrum und viele der anderen Distrikte zusammengenommen. Und es schien sich noch über viele Meilen in die Ferne zu erstrecken. Am Horizont hatte er etwas gesehen, das wie eine auf der Seite liegende Leiter aussah. Er
versuchte sich vorzustellen, was es wohl einmal war. Nicht direkt eine Brücke, aber vermutlich etwas Ähnliches. Es musste riesenhaft sein, wenn man direkt davorstand. Möglicherweise eine Art Überführung oder Straße, die man durch die Luft gebaut hatte. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen zu welchem Zweck.

Mit dem rechten Fuß tastete er nach der nächsten Stufe, aber da war keine mehr. Er war unten angekommen. Der Schutt knirschte unter der Sohle seines Stiefels. Das Geräusch rief ein Echo hervor. Der ihn umgebende Raum schien ausgesprochen groß zu sein. Was das hier wohl einmal gewesen ist? Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schob sich daran entlang. Noch konnte er anhand des fernen Lichts erkennen, wo er eingestiegen war. Einige wenige Schritte zur Seite und der Eingang selbst verschwand aus seinem Blickwinkel. Einen matten Lichtschein, der von ihm ausging, vermochte er allerdings noch wahrzunehmen. Nur noch ein paar Schritte weiter und er würde umkehren.

Die Empfindung in seinem Unterleib wurde intensiver. Vielleicht lag es daran, dass er sich in der Dunkelheit mehr darauf konzentrierte, was er spürte, als auf das, was er sah. Das Gefühl zog ihn tiefer in die Dunkelheit.

Shanti blieb stehen.

Das Licht des Eingangs war jetzt kaum noch wahrzunehmen. Er fühlte sich unendlich weit entfernt von allem, was ihm sicher und vertraut schien. Die ihn umgebende Dunkelheit drängte auf ihn ein. Sie war lebendig. Etwas war bei ihm hier unten, bewegte sich aus der Tiefe auf ihn zu. Er konnte es nicht sehen, aber er ...

... spürte die Berührung zahlreicher Hände, die ihn gegen die Wand drückten, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Vergeblich versuchte er, dagegen anzukämpfen. Er
spürte die Wärme anderer Körper, ihren Atem auf seinem Gesicht. Schließlich hörte er eine vertraute Stimme: »Schön, dass du dich uns anschließt.«

 

Sie führten ihn geradeaus, durch einen weiten Gang und dann weitere Stufen hinab. Das wiederholte sich dreimal. Das Licht ließen sie weit hinter sich. Irgendeine unzurechnungsfähige Ecke seines Hirns fantasierte, sie würden ihn in eine neue Welt bringen. Irgendwo, weit unten in dieser Finsternis würde sich eine Tür zu einem besseren Ort öffnen, einem Ort ohne Metzeleien und Gewalt.

Vermutlich war es die nackte Angst, die ihm derartige Zerrbilder vorgaukelte. Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wo sie ihn hinführten. Er war auf ihren geheimen Zufluchtsort gestoßen. Vielleicht wollten sie nun dafür sorgen, dass niemand sonst mehr ihr Geheimnis erfuhr.

Niemand sprach, und er versuchte nicht die Stille auszunutzen, um seine Unschuld zu beteuern oder um Gnade zu bitten. Es waren nicht wenige, das konnte er aufgrund der Schritte erkennen, die er vor und hinter sich hörte. Er überlegte, sich von ihren Armen loszureißen und wegzurennen, aber dabei hätte er sich nur selbst verletzt. Sie kannten den Weg so gut, dass sie nicht einen Fehltritt machten. Er dagegen würde vermutlich geradewegs gegen eine Wand rennen oder irgendwelche unsichtbaren Stufen hinabstürzen und sich die Beine brechen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mit ihnen zu gehen.

Schließlich hielten sie in einem Raum, in dem es kein Echo gab. Die Arme ließen ihn los, und er hörte sie weggehen. Aber er spürte, dass er nicht alleine war.

»Warum setzt du dich nicht?«, schlug die Stimme vor. Shanti tastete seine Umgebung nach einer Sitzgelegenheit ab, konnte aber nichts finden.

»Entschuldige«, sagte die Stimme, als hätte die Person, die sprach, vergessen Milch zum Tee zu reichen. »Eine Sekunde, bitte.«

Shanti hörte ein Zischen im Dunkeln roch den vertrauten Geruch von Gas. Ein Streichholz flammte auf, und die Lampe erhellte den Raum. Er stand einem lächelnden John Collins gegenüber.

»Willkommen in unserem provisorischen neuen Zuhause.«

Im gelben Schein der Laterne sah Shanti sich um. Sie befanden sich in einer Art kleinem Büro oder Lagerraum, in dem sich kein Möbelstück außer einem Feldbett und einigen zu behelfsmäßigen Kissen gefalteten Decken befand. Collins deutete auf eines zu seiner Rechten, und Shanti setzte sich hin.

 

Richard Shanti lief auch am nächsten Tag nicht. Wieder erwachte er, als er spürte, wie die Sonne sich dem Horizont näherte und ging mit dem Gefühl, seiner neuen Bestimmung folgen zu müssen, vor die Tür. Eine Stunde später, als die Sonne aufgegangen war, kehrte er zurück. Maya stand auf, weckte die Mädchen und bereitete ihr Frühstück aus gegrilltem Roastbeef vor.

Er nahm an, dass sie inzwischen jeden Tag Fleisch aßen. Das ging nun schon so lange so, dass die darin liegende Ironie ihn inzwischen davon abhielt, auch noch die Last ihrer Schuld tragen zu wollen. Es gab eine Alternative und beizeiten würde er sie ihnen zeigen. Aber erst einmal musste er sich selber bewähren. Als Vegetarier war er bereits so weit, dass der nächste Schritt ihm nicht allzu schwerfallen sollte.

Normalerweise ging er zur Arbeit, nachdem seine Frau und die Kinder aufgestanden waren und er sich selbst das Frühstück gemacht hatte. Maya schien ihm seine Anwesen
heit übel zu nehmen. Wenn sie sprach, war ihr Tonfall abweisend.

»Möchtest du etwas essen? Ich kann dir etwas Reisbrei kochen?«

»Danke, nein.«

Er beobachtete, wie Hema und Harsha ihre Steaks zersäbelten und hungrig auf den Fleischbrocken herumkauten. Innerhalb weniger Wochen hatte seine Frau sie in Raubtiere verwandelt. Der braune Saft der Steaks tropfte auf ihre weißen Teller. Immerhin hatte sie das Fleisch durchgebraten. Aber vielleicht auch nur, weil er zusah.

Es war egal.

Nach all den Jahren hoffnungslosen Haderns mit den Konsequenzen seines Job und den widerwärtigen Realitäten der Stadt, gab es nun endlich neue Hoffnung für ihn und seine Töchter. Etwas, das jenseits seiner Vorstellungskraft, ja, genau genommen jenseits des Möglichen lag.

Es könnte die Antwort auf alles sein. Eine Chance für einen Neubeginn. Zur Sühne. Niemals in seinem ganzen Leben hätte er gedacht, dass er die Gelegenheit dazu bekäme und jetzt, wo es beinahe so weit war, schien es geradezu vorherbestimmt. Es war alles, worum er jemals hätte bitten wollen, aber nie Worte dafür gefunden hätte.

»Ich werde heute wieder arbeiten gehen.«

»Ich dachte, Bob hätte gesagt, du sollst dir länger freinehmen.«

Es dauerte einen Moment, bis er antwortete.

»Wenn Mr. Torrance mich sieht, wird er wissen, dass ich wieder so weit bin. Er ist ein guter Menschenkenner.«

»Wenn er so ein guter Menschenkenner ist, wird er schon seine Gründe haben, dich zu beurlauben.«

»Möglich. Aber nichtsdestotrotz wird er erfreut sein, wieder mit mir rechnen zu können.«

Sie zuckte mit den Achseln, als wäre es ihr plötzlich egal und beschäftigte sich mit dem Abwasch. Er betrachtete ihren Rücken. Ihr Körper sprach eine deutliche Sprache, und er hatte das Gefühl, dass er diese Körpersprache besser verstand als jemals zuvor in den fünfzehn Jahren ihrer Ehe. Vielleicht hatte er sich bloß nie zuvor zugestanden, sie zu lesen.

Soweit es ihn betraf, konnte sie so viel Fleisch essen, wie sie wollte und weiterhin ignorieren, welches Leid sie damit zu bewahren half. Aber mit den Zwillingen war es etwas anderes.

Wenn es so weit war, würden sie es sein, die er beschützen müsste.

 

Kalbfleisch.

Torrance hätte ihm keinen übleren Job zuteilen können. Shanti hoffte, dass er ihm seine neue Betätigung wegen des geringeren Drucks zugewiesen hatte, und nicht, weil er wusste, welche Gespenster ihn umtrieben.

Die Kalbfleischproduktion war in einem eigenständigen Komplex untergebracht, der kleiner als der Milchhof und das Schlachthaus war. Die angelieferten Kälber blieben hier eingepfercht, bis sie ihr Schlachtgewicht erreicht hatten, die anschließende Schlachtung fand ebenfalls hier statt. Die Tiere wurden sogar innerhalb des Gebäudes zerlegt, so dass Magnus die völlige Kontrolle über die Qualität des Kalbfleisches hatte.

Was bedeutete, dass die über Jahre hinweg in ihren verdunkelten Verschlägen gehaltenen Kälber jeden Tag ihres erbärmlichen Lebens den Todesqualen ihrer Artgenossen lauschen mussten. Sie benutzten ähnliche Laute, um sich untereinander zu verständigen. Aber isoliert, wie sie waren, hatten sie bloß Wörter und Begriffe für Dinge entwickelt,
die nur sie erlebten. Deshalb unterschied sich ihre Sprache von der der anderen Herden.

Shanti verstand nicht alles davon, und er war dankbar dafür. Ihre Kommunikation war so voll Unschuld und von der Fügung in ihr Schicksal geprägt, dass es ihm das Herz brach, ihnen zuzuhören. Das Zischen und Klopfen der älteren Kälber, in der Regel die respektierten Lehrer unter ihnen, vereinte sich ― wenn der nahe Tod sie mit Angst erfüllte ― zu einer Art gemeinsamen Gebets, das ihnen Mut und Stärke verleihen sollte. Die düsteren Hallen der Kälberställe waren erfüllt vom dumpfen Trommeln ihrer Rhythmen, und Shanti wurde von Übelkeit übermannt.

Torrance hatte ihm, vorsätzlich oder nicht, den Job zugeteilt, die Kälber zu betäuben. Das Tempo, in dem das geschah, war niedriger als im Schlachthaus. Den Leistungsdruck, der an Produktionsstraße herrschte, gab es hier nicht ― nicht einmal eine Produktionsstraße. Sie töteten nicht mehr als acht bis zehn Kälber am Tag, also etwa jede Stunde eins. Shanti blieb also reichlich Zeit darüber nachzudenken, was er ihnen antat.

Sie holten jedes schlachtreife Kalb einzeln aus seinem Verschlag und legten es auf eine Bahre. Keines von ihnen hatte genug Muskeln aufgebaut, um aufrecht zu stehen oder gar gehen zu können. Sie konnten kaum das Gewicht ihres eigenen Kopfes tragen. Nur in den vier kurzen Fingern ihrer Hände hatten sie Kraft, in jenen Stummeln, die ihre Zungen geworden waren. Da die Kälber ihr Leben lang in nahezu völliger Dunkelheit gehalten wurden, war das Licht in dem Komplex immer gedimmt. Für sie musste es sich trotzdem anfühlen, als würden sie direkt in die Sonne sehen. Zwei Viehtreiber zerrten sie heraus aufs Sägemehl und rollten sie schließlich mit dem Gesicht nach oben auf die Bahre. Die Kälber versuchten, ihre halbblinden Augen zu
bedecken. Im gesamten Gebäude schwoll das leise Zischen und Klopfen an, wenn die Männer die hilflosen Kreaturen zu Shanti schleppten.

Um die Kälber daran zu hindern, ihren Kopf zu schützen oder sich zu winden, genügte es, einige beschwerte Riemen über ihre Arme und Beine zu legen.

Bloß eines war hier genau wie im Schlachthaus: das Bolzenschussgerät.

Das gleiche Design. Der gleiche Rückstoß. Das gleiche Geräusch.

Ein Keil an jeder Seite des Kopfes reichte aus, die Kälber davon abzuhalten, den Kopf zu bewegen, während Shanti zielte. Er war sich ziemlich sicher, dass sie nach wenigen Minuten im Licht immer noch nicht sahen, ihn also auch nicht wahrnehmen konnten. Was ein geringer Trost war. Denn er konnte sie immer sehen. Er konnte ihnen in die Augen blicken, während er sie tötete. Und was er sah, waren die treuen, neugierigen Augen von Kindern.

Er konnte nicht dastehen und daran denken, was er ihnen antun musste. Er konnte nicht zulassen, dass die anderen Schlachtarbeiter sein Zögern als ein Zeichen von Schwäche interpretierten. Und er konnte nicht zulassen, dass die Kälber die Folter der Vorahnung nur eine Sekunde länger als nötig ertragen mussten. Nichtsdestotrotz weigerte sich jeder Muskel seines Körpers, der Programmierung seines Hirns zu folgen, die Pressluftpistole auf die Stirn zu setzen und den Abzug zu betätigen. Aber er tat es, um das Leiden der Kleinen zu verkürzen und um seine eigene Haut zu retten.

»Gott ist allmächtig. Das Fleisch ist geheiligt.«

Zisch. Klonk.

Sofort rollten die Augäpfel nach hinten und zeigten ihr blankes Weiß. Ihre weichen, fetten Körper strafften sich, es folgte das spastische Zucken im Todeskrampf gegeneinan
der anarbeitender Muskeln. Dann Stille. Und mit ihr: Erlösung.

Zumindest für das Kalb.

Denn für Shanti war es damit nicht vorbei. Ein Kalb pro Stunde hieß, dass Shanti Leib und Leben des Kalbs auf seiner weiteren Reise zu Entleibung und Zerstückelung begleitete. Seine Männer hängten es an den Knöcheln auf, und Shanti ließ es ausbluten: Mit einem einzigen Streich aus Stahl durchtrennte er ihre verstummten Kehlen zwischen dem knospenden Adamsapfel und ihrem Kinn bis zum Nackenwirbel. Ein kleiner Bottich sammelte das Blut ― für ganz besonders geheiligte Fürsorgerituale.

Shanti zog die ausgebluteten Kälber an nicht motorisierten Laufrollen zum Enthäuten zu den Siedekesseln. Er assistierte beim Häuten, köpfte sie eigenhändig und half beim Ausdärmen, Vierteln und Entbeinen. Shanti wusste sogar, wie man die teuersten Kalbsfilets von den Lendenwirbeln schnitt. Die anderen Schlachtarbeiter kümmerten sich um Hände, Füße und Köpfe. Er überließ ihnen auch das Sortieren der Innereien. Aber er war immer noch bei den Kälbern, wenn von ihnen nichts mehr übrig war als ein Haufen Knochen auf der einen und ein Stapel Filetstücke auf der anderen Seite.

Und fortwährend ertönte im ganzen Komplex das dumpfe Klopfen und das gedämpfte Zischen der Kälber, die im Dunkeln darauf harrten, dass sie fett genug wurden, um zu sterben. Er konnte sie hören.

BOOK: Meat
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