Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (18 page)

BOOK: Sebastian
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»Seht.«
Harland trat neben ihn. Aus dem Augenwinkel sah
Koltak, wie der Vorsitzende des Rates der Zauberer sich anspannte.
»Seht Ihr es?«, fragte Koltak mit leiser Stimme.
»Ja, ich sehe es.«
Erleichterung übermannte Koltak. Er hatte einen Zeugen. Niemand würde Harlands Aussage anzweifeln. Aber das bedeutete …
Ein Schatten ist die Warnung.
Das hatte man ihm viele Jahre zuvor beigebracht, als er in seinem dritten Lehrjahr die Ausbildung zur Turmwache begann.
Ein Schatten, der Wellen schlägt. Ein Schatten, den vielmehr etwas unter der Erde zu werfen scheint, nicht das Licht, das von oben auf die Erde trifft.
»Denkt Ihr, dass jemand zur Schule der Landschafferinnen reisen und sie bitten sollte, sich den verborgenen Garten anzusehen?«, fragte er.
Harland sah ihn an. Der fiebrige Glanz in seinen Augen passte nicht zu seiner ernsten Miene. »Und was soll dieser Bote ihnen sagen? Dass wir um den Garten wissen, den sie seit Generationen so aufmerksam bewachen? Ein Garten, den sie noch immer für ein Geheimnis halten, das nur ihnen bekannt ist? Ein Garten, den trotz unserer Anstrengungen, seine genaue Lage auf dem Schulgelände auszumachen, nur Landschafferinnen und Brückenbauer finden können? Sie haben die Existenz des Gartens niemals bestätigt, und trotz unserer häufigen Besuche in der Schule, um ihnen zu helfen, die gefährlichen Elemente aus ihren eigenen Reihen zu entfernen, haben wir nie einen Beweis seiner Existenz gefunden. Nein, Koltak. Die Landschafferinnen hätten eine Nachricht gesandt, wenn sie Anzeichen der Gefahr bemerkt hätten - auch wenn wir sie das letzte Mal, als sie unsere Hilfe benötigten, enttäuscht haben.«
Die Erinnerung ließ Koltak zusammenzucken. Er hatte es gehasst, aufgrund seiner »Familienverbindungen« nicht in den Kreis der Zauberer gewählt worden zu sein,
die man mit dieser Aufgabe betraut hatte. Hinterher war er dankbar gewesen, dass er nicht unter denjenigen war, die sich durch ihr Versagen,
diesen
Garten zu versiegeln, so blamiert hatten.
»Aber …« Er sah sich um, um sich zu versichern, dass sie alleine auf der Turmspitze waren. Trotzdem senkte er seine Stimme. »Was haltet Ihr von dem Schatten?«
Harland nickte. »Mit Sicherheit eine Warnung, dass etwas Dunkles und Gefährliches so mächtig geworden ist, dass es eine Bedrohung für Ephemeras Landschaften bedeutet.« Er hielt inne. »Fünfzehn Jahre lang hat der Rat befürchtet, dass dieser Tag kommen könnte, aber wir hatten gehofft, dass sie niemals so viel Macht gewinnen würde, um diese Warnung erscheinen zu lassen. Es scheint, als hätten wir vergebens gehofft.«
Koltak flüsterte: »Belladonna.«
»Ja«, sagte Harland. »Belladonna. Eine Bedrohung, die alles vernichten könnte, was wir schützen - wenn sie nicht zuerst vernichtet wird.«
»Sie entzieht sich uns seit fünfzehn Jahren! Die meisten Zauberer können die Landschaften, die sie kontrolliert, nicht einmal betreten, selbst dann nicht, wenn sie in Begleitung eines Brückenbauers sind. Wie sollen wir jemanden finden, den wir seit fünfzehn Jahren noch nicht einmal
gesehen
haben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Harland verbittert. »Aber wir müssen eine Möglichkeit finden.« Er streckte eine Hand aus und ergriff Koltaks Schulter. »Erzählt niemandem von dem Schatten. Lasst nichts über das, war Ihr gesehen habt, laut werden. Ich muss über diese Warnung nachdenken, bevor ich sie mit dem Rest des Rates bespreche. Wir wollen unter den Schülern und jüngeren Zauberern keine Angst verbreiten.«
Wirst du mich überhaupt erwähnen, wenn du mit dem Rat sprichst?
»Ich verstehe.«
Harland ließ Koltak los und näherte sich der Tür zur
Treppe, die sich an der Innenseite des Turms nach unten wand. Dann blieb er stehen und sah zurück. »Der Lehrling, den Ihr nach mir geschickt habt - hat er den Schatten auch gesehen?«
Koltak schüttelte den Kopf. »Aber er ist schlau genug, um zu erkennen, dass ich ihn nicht zu dieser Stunde nach Euch gesandt hätte, wenn es keinen guten Grund gäbe.«
»Kann man ihm vertrauen?«
Koltak zögerte und schüttelte dann abermals den Kopf. »Er hat das Mundwerk eines Angebers und die Diskretion eines Narren. Er hatte gerade genug Talent, um zur Ausbildung zugelassen zu werden, aber selbst nach drei Jahren fällt es ihm schwer, eine einfache Barriere zu durchbrechen.«
Eine Sache, zu der Sebastian ohne jegliche Ausbildung in der Lage gewesen war.
Er verdrängte diesen Gedanken. Die Macht hatte all die Jahre in ihm geschlummert. Sebastian hatte keinen Grund anzunehmen, dass er
diese
Art der Macht besaß. Wenn nicht etwas geschah, das den Rat dazu veranlasste, eine Untersuchung zu fordern, würde nie jemand erfahren, dass sein Nachkomme mehr war als ein schlichter Inkubus.
»Ich verstehe«, sagte Harland. Er musterte Koltak. »Warum wart
Ihr
heute Morgen so früh hier oben?«
»Ich konnte nicht schlafen. Ich bin hierher gekommen, um nachzudenken.«
Harland sah ihn lange und durchdringend an. »Zufällig.«
»Ja.«
Nachdem die Tür hinter Harland ins Schloss gefallen war, wandte Koltak sich wieder ab, um die Landschaft zu betrachten. Sonnenlicht und natürliches Schattenspiel verhüllten die Warnung.
Wenigstens war sie gesehen und verstanden worden. Und die Zauberer würden nicht noch einmal versagen. Sie würden einen Weg finden, Belladonna in Gewahrsam
zu nehmen - oder sie unschädlich zu machen -, bevor sie Ephemera vernichtete.
 
Geschäftig, geschäftig, geschäftig. Menschen waren immer so
geschäftig.
Die dunklen Strömungen flossen durch so viele Herzen dieser Stadt, aber es war genug Licht vorhanden, um die beste Beute davon abzuhalten, diesen Ort zu verlassen. Obwohl Er begierig war, die Herzen mit der dunkelsten Resonanz zu berühren, konnte Er nicht widerstehen, Seine geistigen Tentakel durch den niedriger gelegenen Teil der Stadt zu schicken, um mit einigen der Herzen zu spielen, die dieses Licht nährte.
Ja,
flüsterte Er einem dieser Herzen zu.
Ja, der Schlachter hat dich betrogen und seinen Daumen auf die Waage gelegt, um den vollen Preis für weniger Fleisch zu berechnen. Aber du bist nichts, niemand, unbedeutend. Wenn du ihn beschuldigst, wird dir niemand glauben - und wenn du es tust, wird er dir kein Fleisch mehr verkaufen, und deine Familie wird Hunger leiden.
Er fühlte, wie das Licht schwächer wurde, ersetzt von der Verzweiflung, die solche Herzen oft ergriff, wenn man die Wahrheit ein wenig verzerrte. Heute würde es in diesem Herzen weniger Freude geben, und jeder, der diese Frau traf, würde die Unzufriedenheit spüren, die sie ausstrahlte. Auch in diesen Herzen würde die Dunkelheit ein wenig zunehmen. Und das Licht, das die Stadt durchzog, würde schwächer werden und der Dunkelheit mehr Macht verleihen.
Er spielte mit Seiner Beute, während Seine Tentakel den Verstand und die Herzen der Menschen auf dem Marktplatz berührten.
Dann traf Er auf einen Teil der Stadt, in dem Dunkelheit und Licht so miteinander verwoben waren, dass die Strömungen eine Barriere formten, die Er nicht zu durchdringen vermochte. Die dunklen Strömungen waren nicht ganz mit denen im Rest der Stadt im Einklang, aber
die Barriere verbarg die Resonanz der Macht, die diesen Bereich kontrollierte.
Voller Ärger und Verdruss zog Er sich aus diesem Teil der Stadt zurück und streckte Seine geistigen Tentakel nach den zwei Personen aus, deren Anwesenheit er heute Morgen gespürt hatte. Der eine Geist war fest hinter Mauern der Selbstdisziplin verschlossen, aber der andere war so abgelenkt, dass Er genauso leicht in ihn eindringen konnte wie in einen Traum.
 
Koltak starrte aus seinem Wohnzimmerfenster.
Harland war sich so sicher gewesen, dass Belladonna und ihre unnatürliche Macht der Grund für die Warnung waren. Aber …
Ein Schatten ist die Warnung.
Sowohl die Zauberer als auch die Landschafferinnen sahen in Belladonna eine Feindin, und sicherlich war sie eine Gefahr für Ephemera, aber das erst seit fünfzehn Jahren. Die Zauberer hielten bereits seit Generationen Wache. Der Turm war das älteste Bauwerk der Stadt, und er war auf diesem Hügel errichtet worden, damit er die gesamte Umgebung überblicken konnte. Er war als Wachturm erbaut worden.
Warum?,
flüsterte sein Verstand.
Der Grund war nicht Belladonna, egal, was Harland glaubte. Die Zauberer hatten sich bereits des Öfteren Landschafferinnen ihrer Art entledigt. Sie würden auch einen Weg finden, sie loszuwerden. Nein, er glaubte nicht daran, dass sie und ihresgleichen in früheren Generationen der Grund waren, aus dem die Zauberer Jahr für Jahr Wache hielten.
Was ist dann der Grund?
Koltak rieb sich die Stirn und dachte an den fiebrigen Glanz in Harlands Augen, der ein Gefühl solcher Stärke preisgegeben hatte, das der Mann sonst zu kontrollieren wusste. Und trotzdem …
Es sah Harland gar nicht ähnlich, die andere Möglichkeit einfach von der Hand zu weisen. Und sie alle
wussten
, dass es eine andere Möglichkeit gab. Jeder Zauberer, der über das Schulgelände der Landschafferinnen geschritten war, hatte den bösen Kern gespürt, der hinter all den lichten Strömungen verborgen lag, von denen die Schule durchzogen war. Jeder, der in den zersplitterten Landschaften Ephemeras lebte, kannte die Geschichte, wie die Wahrer des Lichts und die Wächter des Herzens einen Weg gefunden hatten, den Weltenfresser und die Kreaturen, die Er geschaffen hatte, einzusperren. Mächtig war die Magie gewesen, und für die Ewigkeit gedacht. Die Wächter und Wahrer verschwanden, während sie den Käfig schufen. Nicht tot, aber auch nicht länger in der Lage, in dieser Welt zu wandeln. Die Menschen glaubten, dass es sie immer noch gab, dass sie immer noch den tiefsten Wünschen des Herzens lauschten und diese Wünsche mit Hilfe der Strömungen der Macht wahr werden ließen.
Aber heute kontrollierten die Landschafferinnen Ephemera und hielten die Landschaften, trotz der Flut der Gefühle, die sich aus den menschlichen Herzen ergoss, im Gleichgewicht. Und irgendwo im Labyrinth der Gärten und Gebäude der Schule standen Mauern, die den Turm an Alter sogar noch übertrafen.
Warum hatte Harland sich geweigert, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen?
Diese Möglichkeit trägt einen Namen,
flüsterte sein Verstand.
Du hast doch nicht etwa Angst, sie beim Namen zu nennen, oder?
Nein, er hatte keine Angst, und er fürchtete sich auch nicht davor, einer Wahrheit ins Auge zu blicken, die Harland nicht sehen wollte. Es gab nur einen Grund, aus dem man seit so vielen Jahren Wache hielt: Um die Warnung rechtzeitig zu erkennen, damit man in der Lage war, sich zu verteidigen, wenn der Weltenfresser zurückkehrte.
Koltak wandte sich vom Fenster ab und durchsuchte seinen Schreibtisch nach Kopfschmerzpulver. Es war nicht überraschend, dass er sich nach einer schlaflosen Nacht und den Geschehnissen dieses Morgens ein wenig seltsam fühlte.
Er fluchte leise, als er erkannte, dass er keines mehr in seinem Zimmer hatte und hinunter zur Arzneiausgabe gehen müsste. Seufzend sank er, sich immer noch die Stirn reibend, auf seinen Schreibtischstuhl.
Die Geschehnisse des Morgens hatten Harland aus der Bahn geworfen. Das war verständlich. Nachdem er ein wenig darüber nachgedacht hatte, würde er die Notwendigkeit erkennen, die Schule aufzusuchen und mit den Landschafferinnen über den verborgenen Garten zu sprechen.
Denn sollte
tatsächlich
etwas geschehen sein, durch das die Magie, die den Weltenfresser und Seine Landschaften eingeschlossen hatte, gebrochen worden war, stand das Leben aller auf dem Spiel.
 
Fließend zog Er Sich in die Wälder nördlich der Stadt zurück, wo sich Seine Anwesenheit zwischen anderen Schatten verlieren würde.
Über die Jahre hinweg hatte Er viel von der menschlichen Beute gelernt, die sich in Seine Landschaften verirrt hatte - vor allem von den Menschen, die selbst Jäger waren. Er hatte gelernt, die Gestalt Seines Günstlings anzunehmen, bevor Er den eleganten Herren mittleren Alters um den Verstand brachte, der ein so lasterhaftes Vergnügen dabei empfand, Frauen umzubringen.
Er hatte gelernt. Und jetzt hatte Er verstanden, dass die Brut der Dunklen von der verhassten Steinmauer gewusst hatte. Sie hatten gewusst, wo der Garten verborgen war. Sie hatten einen Weg gefunden, Beute in Seine Landschaften zu schicken, aber sie hatten nie versucht,
Ihn zu befreien. Gefangen hatte Er ihnen als nützliches Werkzeug gedient.
Aber Er war kein Werkzeug, das sich von den Nachkommen der Dunklen benutzten ließ. Er war der Weltenfresser. Wenn Er in die Stadt zurückkehrte, würden sie auf Seiner Seite stehen wollen.
Aber bevor Er diese Landschaft verließ, um sich um Seine Widersacher in der Schule zu kümmern, würde Er der Brut der Dunklen zeigen,
warum
sie auf seiner Seite stehen wollten.
 
Mit Teaser an seiner Seite schritt Sebastian über die Hauptstraße des Pfuhls. Er war nervös, wütend, wollte jagen. Er hatte seine Kleidung danach ausgewählt, sich darauf vorbereitet - ein böser Junge auf einem Streifzug. Als er die Straße betrachtete, stellte er fest, wie sehr in den letzten Jahren alles verwahrlost war. Die Fenster der Geschäfte und Tavernen waren schmutzig, in den Gassen stank es, und die farbigen Lichter, die in ihm den Eindruck eines Festes der Sinnlichkeit geweckt hatten, warfen nur noch trübes Licht, so dreckverkrustet waren sie. Wie eine alte Hure, die versuchte, sich herauszuputzen, um zu beweisen, dass sie noch immer begehrenswert war.
Aber dies war sein Zuhause; dies war sein Leben; dies war alles, was er hatte und jemals haben würde.
Er wollte auf etwas einschlagen, etwas zerstören und toben, weil dies nach dreißig Lebensjahren alles war, was er verdiente.
Mehr als alles andere wollte er jemanden verletzen.
Da sah er die junge Frau aus einer Gasse hervorkommen, Angst sprach aus jeder ihrer Bewegungen.
Und der kleine Teil seiner Seele, der seit seiner Rückkehr aus der Stadt der Zauberer ums Überleben kämpfte, sehnte sich plötzlich nach ihr, wollte sie so sehr, dass es den Hass, der ihn aufwühlte, für einen Moment aus dem
Gleichgewicht brachte. Dann konzentrierte sich
alles
in ihm auf sie. Nur sie.
BOOK: Sebastian
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