Sebastian (34 page)

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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

BOOK: Sebastian
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Was ihn aber noch mehr in Rage versetzte, war die Gewissheit, dass die erlesensten Jagdgründe Landschaften waren, die der Wahre Feind kontrollierte. Es besorgte Ihn, wie sich die Dunklen Strömungen an den Stellen anfühlten, an denen Er es geschafft hatte, in diesen Landschaften Ankerpunkte zu setzen. Die alten Feinde, die Wächter, die Ihn vor so langer Zeit bekämpft und eingeschlossen hatten, hatten die Resonanz des Lichts und nur einen winzigen Teil der Dunkelheit in sich getragen. Aber sie trug Licht und Dunkelheit gleichermaßen in sich. Sie konnte tun, wozu die alten Feinde nie in der Lage gewesen waren: Sie konnte Seine dunklen Landschaften kontrollieren.
Sie musste vernichtet werden, bevor sie erkannte, wie mächtig sie wirklich war.
Aber diesmal würde nicht Er derjenige sein, der gegen den Feind antrat. Diesmal würde Er Verbündete haben.
 
Als zuckender Schatten bewegte Er sich den steilen Hang im Norden der Stadt der Zauberer hinauf. Er hatte den Schwachpunkt der Dunklen entdeckt, hatte herausgefunden, was sie zu verlieren fürchteten. In Gestalt einer Spinne hatte Er die Mauer des Gebäudes erklommen, um sicherzugehen, dass jeder, der an einem bestimmten Fenster stand, sehen würde, was Er ihn sehen lassen wollte.
Jetzt war Er bereit. Er sandte einen geistigen Tentakel nach dem Dunklen aus. Er versuchte nicht, unbemerkt in seinen Geist einzudringen. Er ließ ihn Seine Anwesenheit spüren - genoss die Angst, die den Geist durchströmte, bevor das Gefühl unter Kontrolle gebracht wurde.
Komm ans Fenster, flüsterte Er. Sieh auf das abschüssige
Land. Halte Ausschau. In dem Bewusstsein, dass der Dunkle Seinem Befehl Folge leisten würde, zog Er seine Tentakel zurück.
Er wählte ein Stück Land, nicht weit von einer Herde Schafe entfernt, die auf dem Hang grasten, und schuf eine große Fläche rostfarbenen Sandes aus dem Gras, verwandelte diesen Teil der Stadt der Zauberer in die Landschaft der Knochenschäler.
Dann wartete Er, bis Er die Anwesenheit des Dunklen spüren konnte.
Die einfältigen Tiere begannen zu blöken und davonzulaufen, als sich der Boden unter ihren Füßen bewegte. Als Er einen Teil Seiner Gestalt veränderte und mitten unter der Herde Tentakel aus dem Boden brachen, gerieten sie vollends in Panik. Die Schafe, die vor Ihm standen, rannten geradewegs auf die Sandfläche - und verschwanden.
Zufrieden zog Er die Tentakel zurück und nahm wieder seine natürliche Form an.
Er spürte, wie der Dunkle seinen Geist ausstreckte. Zögerlich. Ängstlich.
Wir haben Euch geholfen, sagte er. All die Jahre haben wir Euch Beute geschickt.
Mehr Beute hat seinen eigenen Weg in meine Landschaften gefunden, antwortete Er. Ihr habt mich nie befreit. Ihr habt es nie versucht.
Wir konnten nicht! Wir wussten nicht, wo die Landschafferinnen Euch -
Lügen. Er wartete, labte sich an der Angst.
Was wollt Ihr?
Der Wahre Feind muss vernichtet werden. Sie ist alleine, ihr seid viele. Es wird euch leicht fallen, sie zu zerstören.
Wir haben versucht, Belladonna zu vernichten!
Ein Zittern durchlief Seinen Körper. Belladonna. Das erste Männchen, das Er in der Schule der Landschafferinnen
getötet hatte, hatte aus diesem Wort eine schützende Hülle für ein Samenkorn der Hoffnung geformt. Jetzt wusste Er, was das Wort bedeutete.
Vernichtet den Wahren Feind, beharrte er.
Warum könnt Ihr sie nicht zerstören?
Ein Hoffnungsschimmer lag in diesen Worten, versetzte Ihn in Wut. Der Dunkle war zu verängstigt, um seine Gedanken vollständig zu verbergen. Er hoffte, dass Er und der Wahre Feind sich gegenseitig vernichten würden. Närrische Kreatur, zu denken, dass Er nichts von Seiner Beute gelernt hatte, hatte Er doch so viel Zeit damit verbracht, die größten Ängste Seiner Beute in sich aufzunehmen.
Ihr wollt keine Verbündeten sein?
Wir sind Eure Verbündeten!
Beweist es.
Er übermittelte ein Bild der Weibchen, die Er gefunden hatte - der Weibchen, die seit Generationen versteckt worden waren. Vernichtet den Wahren Feind - oder nicht nur Schafe werden in der Landschaft der Knochenschäler verschwinden.
Er spürte, wie die Angst des Dunklen plötzlich noch größer wurde.
Wir … Wir werden einen Weg finden, Belladonna zu vernichten. Der Dunkle zögerte. Gibt es noch etwas anderes, das wir tun müssen, um zu beweisen, dass wir Verbündete sind?
Er überlegte einen Moment, dachte an das dunkle Jagdgebiet, das er für Sich beanspruchen wollte.
Ja. Vernichtet das Ding namens Sebastian.
 
Glorianna schritt über die Pfade ihres von Mauern umgebenen Gartens, die Statue der sitzenden Frau sicher in den Armen geborgen, ein Stück eines alten Handtuches über die Schulter geworfen. Vor fünfzehn Jahren hatte sie getan, worum Nadia sie gebeten hatte - sie hatte alle Zugangspunkte
aus ihrem Garten in der Schule entfernt und den Garten auf dieser kleinen Insel neu aufgebaut. Dann hatte sie die Landschaften verändert, bis dieser Ort so gut verborgen war, dass man ihn mit den üblichen Methoden nicht finden konnte.
In den Heiligen Stätten wusste man, dass es ihn gab, aber die Hüter des Lichts sprachen nicht mit Außenstehenden über die Insel im Nebel - es sei denn, der Wunsch ihrer Herzen zwang sie dazu.
Die Zauberer konnten sie hier nicht finden. Der Weltenfresser konnte sie hier nicht finden. Der einzige Weg zu dieser Insel führte durch die Heiligen Stätten, und die Heiligen Stätten lagen in ihrem Garten, geschützt von den Mauern, die ihn umgaben.
Sie konnte spüren, wie die Verbindung zwischen ihren Landschaften und Ephemera abbrach, was diese Teile der Welt zu schwimmenden Inseln werden ließ, die nur untereinander verbunden waren.
Ephemera. So fest und stark wie Stein, und doch so zart wie ein Traum.
Und wenn sie Erfolg hatte, würde sich dieser Traum nicht in einen Albtraum verwandeln.
Sie wusste nur nicht, wie sie gegen den Weltenfresser kämpfen konnte. Sollte sie Ihn tatsächlich finden und gegen Ihn antreten, wusste sie nicht, wie eine einzelne Landschafferin diesen Kampf gewinnen sollte, wenn es so viele ihrer Art bedurft hatte, um den Weltenfresser das erste Mal einzuschließen.
»Hör auf zu zaudern«, murmelte sie. Diesen Kampf wirst du ausfechten, wenn es so weit ist. Du weißt, was jetzt getan werden muss.« Sie drehte sich um und ging in den vorderen Teil ihres Gartens.
Sie hatte die letzte Stunde damit verbracht, über die Pfade zu laufen, um zu entscheiden, wo sie die Statue hinstellen sollte, die sie mit Nadias Heimat verbinden würde. Sie hatte bereits einen Zugangspunkt zu ihrem
Zuhause - ein Beet mit Blumen, die sie aus Samen und Stecklingen aus Nadias persönlichem Garten gezogen hatte. Nahe am vorderen Rand des Beetes lag ein großes Stück Schiefer. Sie hatte schon immer vorgehabt, die Platte als Fundament für ein schmückendes Element zu nutzen, aber sie hatte nie etwas gefunden, das sich richtig anfühlte.
Sie kniete nieder. Stellte die Statue auf die Schieferplatte und drehte sie erst in die eine, dann wieder in die andere Richtung, bis sie genau so stand, wie sie es wollte. Dann legte sie die Hände auf die Statue, rief Ephemera an und veränderte die Landschaften. Sie unterbrach ein paar Verbindungen und schuf dafür andere, veränderte die Anordnung der Teile und formte neue Grenzen und Grenzlinien.
Als sie sich schließlich zurücklehnte, stand die Sonne schon tief am Himmel.
Ein paar seltsame Verbindungen. Ein paar unerwartete Grenzlinien. Ihr war nicht immer klar, warum zwei scheinbar unterschiedliche Landschaften eine Resonanz teilten, aber sie zweifelte nicht an dem, was sie getan hatte.
Sie stand auf und nahm einen tiefen Atemzug, doch als sie ausatmete, schluchzte sie auf und schlug die Hand vor den Mund. Sie musste durchhalten. Die nächste Aufgabe ließ ihr Herz schmerzhaft pochen, aber sie musste durchhalten.
Mit geballten Fäusten ging sie tiefer in ihren Garten hinein, zu einem seltsamen kleinen Beet, das abseits lag und nichts enthielt, außer einem Strauch Herzenshoffnung und einem Ziegelstein.
Sie legte ihre Finger auf den Ziegelstein und fühlte, wie die Dunkelheit die Ränder dieser kleinen Landschaft umspülte. Der Weltenfresser wusste nicht, was es war und warum die Dunklen Strömungen nicht ganz mit denen im Rest der Landschaft übereinstimmten, aber mit ein wenig Zeit würde Er es begreifen.
Sie zog das Stück Handtuch von ihrer Schulter, breitete es vor dem Beet auf dem Boden aus, hob dann den Ziegelstein auf und wickelte ihn in das Handtuch.
Eilig, um die Aufgabe zu Ende zu bringen, bevor die Sonne unterging, hob sie den eingepackten Ziegelstein auf und rannte auf die geschützte, hufeisenförmige Felsenbucht zu, in der das Boot lag, das die Flusshüter für sie gebaut hatten. Ihre Boote waren die einzigen, die es schafften, diesem Teil des Flusses standzuhalten.
Sie stieg ins Boot, setzte sich mit dem eingewickelten Ziegel auf dem Schoß auf die vordere Bank und leerte ihren Geist von allen Gedanken, bis auf die an das Boot und den Fluss.
Das Boot hatte keine Ruder, keine Segel, keinen Ruderstock. Der Wille und das Herz ersetzten diese Dinge. Sanft und langsam glitt das Boot aus dem ruhigen Wasser der Bucht in die aufgewühlten Fluten des Flusses. Manche Strömungen kreuzte es, anderen folgte es, im Gleichgewicht gehalten und angetrieben von der Aufgabe der Person, die sich in ihm befand.
Am Rande dieses Durcheinanders von Strömungen brachte ihr Wille das Boot zum Anhalten. Sofort breitete sich ein Kreis ruhigen Wassers um es herum aus.
Sie hob den Ziegelstein hoch und hielt ihn über die Fluten. Es war dumm von ihr gewesen, eine Entscheidung in jugendlichem Zorn zu treffen.
Gelegenheit und Entscheidung. Ein verbitterter Bauer, der noch immer das Samenkorn der Güte in sich trug. Mit einem sanften Lichtstrahl, einem Schimmer der Hoffnung, hatte sie dieses Samenkorn genährt. Er hatte dieses Schimmern zurück in einen von dunklen Gefühlen erfüllten Teil der Stadt getragen und dort ein weiteres schimmerndes Licht entfacht. Und noch eines. Und noch eines. Freundlichkeit nährte Freundlichkeit, und das Licht wurde heller. Ein paar Monate später, als die Resonanz dieses kleinen Teils der Stadt nach ihr rief, war sie
hinübergetreten und hatte den Ziegelstein mitgenommen, um ihn zu ihrem Ankerpunkt zu machen, so dass sie die Strömungen des Lichts weiterhin führen könnte. In den letzten Jahren war sie ein paar Mal dort gewesen, um die Resonanz dieses kleinen Ortes im Gleichgewicht zu halten, hatte sich auf ihr Glück verlassen, dass sie nicht auf Sebastians Vater treffen würde, der einzige Zauberer, der sie vielleicht erkennen könnte.
Jetzt …
Musste sie sie gehen lassen - diese Menschen, dieses Leuchtfeuer des Lichts. Eine Landschaft innerhalb der Mauern der Stadt der Zauberer zu besitzen, war schon immer ein Risiko gewesen. Jetzt konnte dieses Risiko alle Landschaften gefährden, die sich in ihrer Obhut befanden. Es könnte die Schwachstelle in der Mauer sein, die dem Weltenfresser die Möglichkeit gab, die Feste des Lichts anzugreifen.
Ihre Hände zitterten, als sie den eingewickelten Ziegelstein ins Wasser gleiten ließ.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. Tränen rannen über ihr Gesicht. »Es tut mir leid.«
Warum?
, flüsterte eine Stimme.
Warum sie aufgeben? Du hast so hart gearbeitet, um ihnen zu helfen. Willst du das nicht auch weiterhin tun?
Natürlich wollte sie diesen Menschen helfen.
Dann halte sie unter deinem Schutz. Behalte sie im Garten.
Da fühlte sie es - eine dunkle Strömung, die nicht mit ihrer Resonanz im Einklang stand. Bosheit hinter den Worten, die ihr versicherten, sie müsse das nicht tun.
Mit einem gequälten Aufschrei ließ sie den Ziegelstein los.
Er sank schnell, aber die Strömungen des Flusses spülten jede Spur von ihr fort, bevor er den Grund erreichte.
Sie kauerte sich eine Weile im Boot zusammen, elend vor lauter Angst.
Beinahe hätte sie nachgegeben. Selbst in dem Bewusstsein, dass diese kleine Landschaft eine Gefahr für alle ihre anderen Landschaften bedeuten könnte, hätte sie beinahe nachgegeben. Weil etwas gerade weit genug eingedrungen war, um sie zu einem Fehler zu verleiten. Es hatte auf ihren eigenen Widerwillen gezielt, diese Menschen im Stich zu lassen und sie zurück in das elende Leben zu schicken, aus dem sie gekommen waren, als allein der Einfluss der Zauberer diesen Teil der Stadt berührt hatte. Wenn sie den Ziegelstein mit zurück in ihren Garten genommen hätte, wäre es dem Weltenfresser vielleicht möglich gewesen, diese kleine Landschaft zu nutzen, um die Heiligen Stätten anzugreifen.
Bis ins Mark erschöpft und halb blind vor Tränen setzte sie sich auf, konzentrierte ihren Willen darauf, das Boot zu steuern und ließ keinen anderen Gedanken zu, bis es sicher im ruhigen Wasser der hufeisenförmigen Bucht vertäut war.
Als sie den Weg zu ihrem Haus entlangstolperte, fragte sie sich immer wieder, ob sie wirklich das Richtige getan hatte, indem sie die Landschaft gehen ließ - oder ob dies ihr erster Fehler im Kampf um das Licht gewesen war.

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