Polar City Blues

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Authors: Katharine Kerr

BOOK: Polar City Blues
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BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 24152

Erste Auflage: Februar 1992

Für Stephen W. Dahin, wo immer er jetzt ist. Er weiß auch, warum.

© Copyright 1990 by Katherine Kerr

All rights reserved

Deutsche Lizenzausgabe 1992

Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Polar City Blues

Lektorat: Reinhard Rohn

Titelillustration: Luis Royo, Norma Agency, Barcelona

Umschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg

Satz: Fotosatz Schell, Bad Iburg

Druck und Verarbeitung:

Brodard & Taupin, La Fleche, Frankreich

Printed in France

ISBN 3-404-24152-5

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Die Riesensonne über dem Horizont von Hagar geht unter. Langsam versinkt sie im Dunst und bringt ihn zum Leuchten. Streifen von Kupferorange fächern über den Himmel, so aufdringlich bunt, als versuchte der Regisseur eines schlechten Holo-Films den Sonnenuntergang auf einem Planeten seiner Phantasie darzustellen. Aber wenn das Kupfer allmählich verblaßt und sich in ein scheußliches Lila verwandelt, dann geht es am Himmel über Polar City erst richtig los. Das Nordlicht knistert und knattert über der Stadt, als wollte es die Skyline mit Girlanden in allen Regenbogenfarben schmücken, und so das nüchterne Bild verzaubern, das nichts so sehr ähnelt wie senkrecht aufgestellten Eierkartons. Hin und wieder umspielt eine Flut purpurnen und silbernen Lichts auch die hohen Startrampen des Raumhafens. Obwohl das nichts Besonderes ist für die meisten Bewohner der Stadt (die um diese Zeit gewöhnlich aufstehen, nach den Kindern oder den Eiern in den Brutkästen sehen oder sich die Zähne putzen und ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht spritzen ...), hält an diesem Abend Baskin Ward, Corporal der Polizei, auf seinem Streifgang durch die Innenstadt an und lehnt sich gegen die blaue Plastbetonmauer der Stadtbibliothek, um das Schauspiel am Himmel zu betrachten. Es gibt eine Menge Dinge, über die er nachdenken müßte, und außerdem ist es wie immer sehr heiß in Polar City. In einer Stunde wird die Stadt zum Leben erwachen, aber heute würde er sich nicht anstrengen. Er muß seine Kräfte aufsparen für das Examen morgen. Wenn er bestand, dann wäre er Sergeant und könnte endlich die Frau heiraten, die er seit drei Jahren liebt. Sie arbeitet in der Computerzentrale der Verkehrsüberwachung und wünscht sich, genau wie er, zwei Kinder und vor allem ein Ticket, um von dieser verdammten zurückgebliebenen Wüstenwelt mit dem ewig bonbonfarbenen Himmel wegzukommen. Wenn

er sich als Sergeant bewährt, kann er beantragen, nach Sarah, seinem Heimatplaneten, versetzt zu werden, wo es Regen gibt und grüne, üppige Wälder. Aber erst einmal muß er die Prüfung bestehen.

Das blaue Licht der Straßenlaternen flackert auf, die nur von einem Magnetfeld gehalten sechs Meter über dem Boden schweben, über den grauen Gehwegen und den glänzenden schwarzen Transportbändern, die daran vorbeigleiten. Vor ihm liegt die Plaza, der große zentrale Platz vor den Gebäuden der Stadtverwaltung, wie ausgestorben, nur eine Frau ist zu sehen, die eilends ihres Weges geht. Ihre hochhackigen Stiefel klappern auf den tönernden Platten, als wollten sie mit dem Geknatter des Magnetsturms oben am Himmel wetteifern. Nicht lange, und die Büromenschen, die Bürokraten der Verwaltung werden in Scharen hier auftauchen, nachdem sie sich tagsüber in den unterirdischen Wohnsiedlungen um den Stadtkern herum verkrochen haben. Ward hofft, daß es eine ruhige Nacht wird. Wahrscheinlich ein paar Betrunkene und ein paar mehr Leute im Drogenrausch, die er verwarnen und über das Terminal an seinem Gürtel dem Rehabilitationscomputer melden würde; ein Taschendieb vielleicht, das wäre schon das Äußerste. Eigentlich geht es nur darum, daß man ihn sieht, in dieser gelbgrünen Uniform mit den eindrucksvollen goldenen Tressen, mit der silberglänzenden Betäubungspistole, dem Symbol staatlicher Macht.

Er rückt seine Mütze zurecht, stößt sich von der Wand ab und betritt das Laufband, das über die Plaza zum Rathaus führt, einem riesigen schwarzen Basaltklotz, kaum aufmunternder als ein Grabstein. Das Laufband durchquert in der Mitte des Platzes ein Karree, das Reihen von Steineichen eingrenzen.

Sobald er die Baumreihe passiert, scheint ein unsichtbarer Mechaniker tief unter der Erde das Hologramm einzuschalten, das den öffentlichen Platz verschönern soll: Ein Springbrunnen mit hoher Fontäne wird von einem zum anderen Augenblick Wirklichkeit, ohne das mindeste Geräusch steigt das Wasser in die Höhe und fällt ebenso lautlos, wieder zur Erde, bis nach einer winzigen Verzögerung das Tonband mit dem Zischen und Plätschern einsetzt. Dann beginnen auch die Ionengeneratoren zu arbeiten, und Ward glaubt fast die Kühle des Wassers zu spüren, während er näherkommt. Er verläßt das Laufband und geht hinüber zu der niedrigen Einfassung, die Abfälle, Eidechsen und Haustiere von dem imaginären Springbrunnen fernhalten soll. In der Mitte des großen weißen Beckens aus Plastbeton sieht er den ersten Betrunkenen oder Drogensüchtigen dieser Nacht liegen, fast verborgen hinter den Wasserschleiern.

»Okay, amigo, wollen die Beinchen nicht mehr, na?«

Und Ward watet durch das Hologramm, es irritiert ihn, obwohl es absurd ist, daß seine Beine sich nicht naß und kühler anfühlen. Der Mann rührt sich nicht, scheint auf ihn zu warten. Liegt seelenruhig auf dem Rücken, die Hände auf der Brust gefaltet. Dann bemerkt Ward die Lache, mehr schwarz als rot im blauen Licht der Bogenlampen, die sich über das weiße Becken ausgebreitet hat.

»Herr im Himmel!«

Schnell kniet Ward sich hin und greift nach dem Terminal am Gürtel. Er sieht, daß es sich um einen männlichen Carli handelt, etwa anderthalb Meter groß und noch dünner als die meisten seiner Spezies; spindeldürr sind die drei Finger an jeder Hand, die hellgraues Fell umkleidet. Dunkelgraues Fell bedeckt Gesicht, Arme und Hals, doch ist es stumpf und verfilzt. Die Augen sind weit offen, die Ohren zur vollen Länge aufgerichtet, daß die Haut an der Basis sich in Falten gelegt hat. Der dünne Schlitz des Mundes ist fest verschlossen. Ward kennt sich aus mit Carlis, diese Mimik bedeutet, daß man vielleicht ein wenig überrascht war, nichts weiter. Das Opfer hatte nichts befürchtet, keiner Gefahr ins Auge gesehen, genau bis zu dem Augenblick, als man ihm die Kehle durchschnitt bis hinunter auf die Wirbelsäule.

»Da er ein Carli ist, Sir, wird er wohl zur Botschaft der Konföderation gehören.«

»Darauf können Sie wetten, Ward.«

Chief AI Bates, ein stämmiger Riese mit so schwarzer Haut, daß man blaue Lichtreflexe darauf glitzern sieht, steht mit dem Corporal, einem Weißen, der ihm nicht einmal bis zur Schulter reicht, am Rand der Plaza. Sie schauen den Holo-Photographen und den Technikern zu, die sich um die Leiche versammelt haben. Der Springbrunnen ist abgeschaltet, so daß sie den Toten nun deutlicher sehen können sein kostbares blaues Gewand aus echten Naturfasern, das komplizierte Chronometer mit einem Armband aus massivem Gold am linken Handgelenk. Das schließt einen gewöhnlichen Raubüberfall aus. Obwohl der Polizeichef am liebsten ein einfaches Motiv gefunden hätte unbezahlte Spielschulden vielleicht oder eine Affäre mit der Frau eines anderen Carli , befürchtet er tief in seinem Herzen, daß der Mord etwas mit Politik zu tun hat. Und das deshalb, weil eben jedes größere Verbrechen auf Hagar etwas mit Politik zu tun hat. Nur sechs Straßen weiter nach Westen befand sich das Botschaftsgebäude der mächtigen Interstellaren Konföderation, acht Straßen östlich die Botschaft der nicht weniger respektablen Coreward-Allianz. Und in der Mitte dazwischen stand wie als Symbol das Rathaus von Polar City, Sitz der Provinzialverwaltung dieses Teils der bemitleidenswert kleinen Republik, die aus sieben bewohnten Planeten in vier Systemen, zwei Asteroidengürteln und einer Handvoll Monde bestand, auf denen eifrig nach Erz geschürft wurde. Zwischen Hammer und Amboß, pflegten die Einwohner der Stadt zu sagen, und meistens meinten sie es wörtlich.

Nun fallen die Büromenschen immer zahlreicher in die Stadt ein, quellen wie Sandwürmer aus den U-Bahn-Schächten, und natürlich bleiben sie stehen und gaffen. Ohne daß man es ihm sagen müßte, geht Ward hinüber und fordert sie auf, weiterzugehen; ein guter Mann, denkt sein Chef, der 10

die Streifen eines Sergeants wohl verdient. Und endlich kommt auch der Gerichtsmediziner mit seinen Leuten, die eine Schwebetrage durch die Menge schieben. Bates fragt sich, warum die Mörder den Toten auf der Mitte der Plaza zurückließen, auch noch im Springbrunnen, was zugegebenermaßen ein seltsamer Ort ist, um sich einer Leiche zu entledigen. Vielleicht waren die Täter noch neu in Polar City und wußten nichts von dem Hologramm? Oder war es eine ganz bewußte Beleidigung des Toten? Die Carlis sind äußerst schwierig, was den Umgang mit ihren Toten betrifft. Bates nimmt sich vor, die Datenbank nach ihren Begräbnisgebräuchen zu befragen; vielleicht hat man dem Toten durch das imaginäre Wasser in seiner Nähe die denkbar größte Schmähung zugefügt.

»Sieht schrecklich aus, Chief.«

»Heh! Mulligan!« Bates ist herumgefahren, die Betäubungspistole halb gezogen, bevor er seine Fassung wiederfindet. »Wirst du gefälligst aufhören, dich an mich heranzuschleichen? Oder willst du eines schönen Abends einen Laserschock verpaßt haben?«

Mulligan grinst nur. Dieses breite, jungenhafte Grinsen, das zu den Dingen an ihm gehört, die der Polizeichef am allerwenigsten leiden kann. Obwohl Bates zugestehen würde, daß eine freie Gesellschaft auch Paras tolerieren muß und daß sie sich tatsächlich auch nützlich erweisen können, fühlt er sich doch in der Nähe dieser Psi-Jongleure nicht wohl und ganz besonders nicht in Mulligans Nähe. Heute sieht er noch schlimmer aus als sonst, das dürre, zwei Meter lange Gestell in schmutzigen weißen Shorts und einem grünen Hemd, das bis zum Nabel offen ist beides viel zu weit für den mageren Kerl. Das immer ungekämmte Haar ist an diesem Tag türkisfarben, es kontrastiert unschön mit dem leuchtend roten Psi, das auf seine linke Wange tätowiert ist. Diese Kennzeichnung war vorgeschrieben. (Denn obwohl die Republik Paras tolerierte, mußten sich die anderen Bürger nach Möglichkeit vor ihnen schützen können.) Mulli-11

gans Augen glitzern wie die eines Reptils - er trägt goldfarbene, reflektierende Kontaktlinsen. Bates findet es abstoßend. Er kann den Gedanken nicht unterdrücken, daß das typisch für die Weißen, los Blancos, ist, die am liebsten der harten Wirklichkeit aus dem Weg gehen und das Unechte auch in ihrer äußeren Erscheinung bevorzugen. Dann schämt er sich, daß er wieder in die alten Vorurteile verfallen ist.

»Kann ich was für Sie tun?« Mulligan deutet vage auf die Leiche.

»Wofür brauchst du das Geld? Dreamdust?«

»Das Zeug nehme ich nie. Aber warum fragen Sie nicht nach meiner Miete? Mein Vermieter will mich rauswerfen. Ist das ein Grund?«

Bates schnaubt ungläubig, dann zögert er und denkt nach. Mulligan hat das Glück, zum rechten Zeitpunkt hier zu sein, rechtzeitig genug, bevor die Schwingungen oder was auch immer die Paras wahrnehmen, abgeebbt und für immer verschwunden sind.

»Ja, sicher. Komm.«

Mulligan trottet brav hinterdrein, während der Chief sich einen Weg durch die Menge bahnt, bis zum Gerichtsmediziner und seinen beiden Gehilfen vor der Leiche. Sie sind im Begriff, das grau eingehüllte Bündel auf die Schwebetrage zu legen.

»Ich hab' hier einen staatlich anerkannten Para«, sagt Bates, »also laßt ihn noch einen Moment hier.«

Die Gehilfen gehorchen und legen die Leiche wieder auf den Boden des Brunnenbeckens. Mulligan kniet nieder, kauert sich auf die Fersen, dann streckt er seine weißen, langfingrigen Hände über der Leiche aus. Einen Augenblick sitzt er still da, während einer der Männer ein Tonband hervorholt, um alles, was er sagen wird, mitzuschneiden. Der andere hat sich ein Stück Kaukraut aus der Hemdtasche geholt. Dann wird Mulligan plötzlich steif, sein Kopf schnellt nach hinten, der ganze Körper windet sich, und er

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heult auf wie ein Tier, ein hoher, schriller Schmerzensschrei. Der eine Gehilfe verschluckt sein Kaukraut und verschwindet, um es unbeobachtet irgendwo im Rinnstein zu erbrechen. Der andere, der mit den Methoden der Paras besser vertraut scheint, schaltet das Tonband ein und gähnt. Bates hockt sich neben Mulligan.

»Was siehst du?«

Mit halboffenem Mund wendet Mulligan ihm den Kopf zu. Wegen der reflektierenden Kontaktlinsen dauert es eine Weile, bis der Chief merkt, daß hier etwas gründlich schiefläuft. Mulligan sieht ihn gar nicht, er versucht verzweifelt, etwas zu sagen, seine Arme zu heben. Als Bates ihn packt, heult er ein zweites Mal auf, aber diesmal klingt es, als drücke man ihm die Kehle zu. So groß und korpulent Bates auch ist, wenn es darauf ankommt, kann er äußerst schnell sein. Er reißt Mulligan mit sich, während er aufspringt, zerrt ihn zur Seite. Es ist, als würde man einen Menschen von einer elektrischen Leitung reißen. Erst krampft Mulligan noch, dann sackt er in Bates' Armen in sich zusammen. Türkisfarbene Schweißbäche laufen ihm übers Gesicht.

»Einen Arzt!« gellt Bates' Stimme durch die Menge. »Einen Arzt! Schnell!«

Mulligan erwacht auf dem Untersuchungstisch einer kargen Zelle der Notfallambulanz von Polar City, tief unter der Stadt. Die rosafarbenen Wände sind schmutzig, entlang der Fußbodenleisten erkennt man Urinflecke zweier verschiedener Spezies. Der Geruch nach Desinfektionsmittel schnürt Mulligans trockene Kehle noch mehr zusammen. Die grelle Lampe an der Decke über dem Tisch macht ihm Augenschmerzen. Er versucht, sich auf den Bauch zu drehen, aber der Schmerz in seinem Kopf läßt ihn laut aufstöhnen. In einer Ecke der Zelle ist ein Waschbecken Wasser ...! wenn er es nur erreichen könnte. Aber Beine und Arme schmerzen so entsetzlich, daß er daran zweifelt. So bleibt er einige 13

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