Read Sebastian Online

Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

Sebastian (24 page)

BOOK: Sebastian
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Nervös berührte sie ihr Gesicht. »So anders sehe ich doch nicht aus, oder?«
Tageslicht, Glorianna! Was hast du mit meinem kleinen Häschen angestellt?
Es war Lynnea … und sie war es doch nicht. Die Sukkuben und menschlichen Huren - selbst die Frauen aus der Stadt, die in den Pfuhl kamen - trugen mehr Farbe im Gesicht, aber es war umwerfend, zu sehen, wie aus natürlicher Schönheit wahre Verführung geworden war. Und dieser Catsuit …
Mr Finch war ein böser, böser Mann, ein Kleidungsstück zu entwerfen, das sich so eng an den Körper einer Frau schmiegte.
»Sebastian?« An der Art, wie sie seinen Namen sagte, konnte er erkennen, wie unsicher sie war. Der erste Anflug weiblichen Selbstbewusstseins drohte unter dem Gewicht seines Schweigens zu zerbrechen.
Er trat näher an sie heran und umfasste ihre Taille - und gratulierte sich selbst dafür, dass er seine Hände nicht weiter nach unten wandern ließ, um herauszufinden, was sie - oder was sie nicht - unter dem Catsuit trug.
»Du siehst atemberaubend aus«, sagte er und trat noch ein wenig näher an sie heran. »Beeindruckend.« Kein Parfüm, nur der leichte Duft der Seife, die er für sie ins
Badezimmer gelegt hatte. Ein Duft für ein Mädchen vom Land, nicht für diese Verführerin, die ihn mit unschuldigem Schlafzimmerblick ansah.
Zu viele sich widersprechende Sinneseindrücke und zu viel Gefühl strömte auf ihn ein. Aber eines war ihm klar. Wenn er heute Nacht alleine schlafen müsste, würde er sich zusammenrollen und sterben.
»Küss mich«, flüsterte er.
»Hier?«, fragte sie erschrocken, und ihr Blick schoss zu den Leuten hinüber, die die Straße entlangschlenderten.
»Eine Löwin würde sich nicht davor fürchten, ihren Liebhaber in der Öffentlichkeit zu küssen.«
Sie starrte ihn an. »Ihren Liebhaber?«
»Heute Nacht bin ich der Liebhaber von Lynnea der Löwin.«
»Ach herrje.«
Er war sich nicht sicher, ob dieser Ausdruck etwas Gutes oder Schlechtes bedeutete. Dann presste sie sanft ihre Lippen auf die seinen, und es spielte keine Rolle mehr, was es bedeutete.
Süß. Warm. Kein Kuss mit geschlossenen Lippen hatte ihn je so erregt, seit … Gut, in Ordnung. Noch
nie
hatte ihn ein Kuss mit geschlossen Lippen so erregt. Und als ihre Hände seinen Nacken umschlossen und sie ihm mit den Fingern durch die Haare fuhr, sah er nicht länger ein, warum sie nicht hier stehen bleiben sollten, bis sie entweder vor Erschöpfung oder vor Hunger zusammenbrachen.
Dann löste sie sich von ihm, sah ihn an und runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass eine Löwin so küsst, aber ich -«
Er ließ ihr keine Chance. Er beugte sich zu ihr hinunter und zeigte ihr, wie eine Löwin ihren Liebhaber küssen würde, wie ein Inkubus seine Geliebte küssen würde, wenn er wirklich seine Geliebte in ihr sah und nicht bloß seine Beute.
Das Brüllen eines Bullendämons irgendwo in ihrer Nähe drang schließlich durch den Schleier ihrer Lust. Sebastian trat zurück und ergriff ihre Hand.
»Lass uns gehen.«
Solange ich noch gehen kann.
An den Straßenecken standen Musikanten, auf den Straßen Jongleure und vor den Tavernen Tische für Besucher, die dem bunten Treiben zuschauen wollten.
Langsam liefen sie die Hauptstraße entlang und sahen sich alles und jeden an. Die Stimmung im Pfuhl war ausgelassen, und obwohl es so schien, als könnte sie jeden Moment umschlagen, blieb das Geschehen meist friedlich.
So war der Pfuhl gewesen, als er ihn vor fünfzehn Jahren gefunden hatte. Dies war die Atmosphäre, die der Pfuhl in den letzten Jahren verloren hatte und stattdessen härter, grausamer geworden war. Und so hatte Sebastian begonnen, sich an dem einen Ort, an dem er gerne lebte, unwohl zu fühlen.
Atemlos und erstaunt sah er sich um.
Oh, Tageslicht. Was er da dachte, konnte unmöglich wahr sein.
Er bemerkte nicht, dass Lynnea ein Stück vorausgegangen war, bis er das Brüllen des Bullendämons vernahm, der kurz darauf aus einer Taverne stolperte und fast sein kleines Häschen umrannte, bevor er zum Stehen kam.
Sebastian hielt den Atem an. Lynnea und der Bullendämon sahen sich in die Augen.
Schließlich fragte Lynnea höflich: »Wie geht es Ihnen?«
Der Bullendämon dachte über die Frage nach. »Geht gut«, grollte er dann. Er verlagerte das Gewicht seines massigen Körpers von einem Fuß auf den anderen.
Sie starrten sich noch eine Weile an, bevor der Bullendämon, der Meinung, er hätte sein Talent für höfliches Geplauder jetzt genug beansprucht, seinen zottigen, gehörnten Kopf schüttelte und schwerfällig davonging.
»Hast du das gesehen?«, sagte Lynnea, als Sebastian ihr entgegeneilte und einen Arm um ihre Taille legte. Ihr Gesicht strahlte vor Aufregung. Sie drehte sich in seinem Arm um und legte ihm die Hände auf die Brust. »Ich habe mit …« Sie hielt inne. Runzelte die Stirn. »Mit was habe ich gerade gesprochen?«
»Mit einem Bullendämon.« Er spürte die Wärme ihrer Hände durch sein Hemd.
»Ein Bullendämon?« Wieder eine Pause. »Wie sehr ähneln sie Bullen?«
Wächter und Wahrer! Wenn sie nicht weitergingen, würde er etwas Dummes tun. Zum Beispiel sein Hemd aufreißen und sie anflehen, ihn zu berühren.
»Das weiß keiner außer ihren Frauen so genau«, sagte er und nahm ihre Hand, so dass er den Körperkontakt aufrechterhalten konnte, ohne ihr zu nahe zu sein.
Langsam liefen sie zurück zu Philos Restaurant. Mit einem Teller voller Knabbereien in der Hand winkte Teaser sie an einen Tisch und zeigte dann auf die Weinflasche, die dort auf sie wartete.
Sobald Sebastian Lynnea vorgestellt hatte, stellte Teaser den Teller auf den Tisch und sagte: »Die Musik ist heiß heute Nacht. Es macht dir doch nichts aus, wenn ich mir für den nächsten Tanz deine Dame ausleihe, oder?«
Sebastian zögerte einen Moment. »Wenn die Dame möchte, macht es mir nichts aus.«
Teaser schenkte Lynnea sein selbstbewusstes, jungenhaftes Lächeln, das schon so viele Frauen um den Verstand gebracht hatte. »Na komm«, sagte er und streckte ihr eine Hand entgegen. »Ich zeige dir, wie man im Pfuhl tanzt.«
»Oh, ich … -« Lynnea unterbrach sich selbst und blickte zu Sebastian, der sie nur anlächelte und mit den Lippen ein Wort formte.
Löwin.
Teaser ergriff ihre Hand und führte sie in die Mitte der
Straße. Als er begann, übertrieben die Hüften kreisen zu lassen, errötete sie, schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Aber er sagte etwas, das sie vor Lachen prusten ließ, und einen Moment später bewegte sie sich ebenfalls zur Musik und ahmte Teasers Bewegungen nach.
Ahnte sie auch nur, wie unverhohlen aufreizend diese Bewegungen waren? War sie sich bewusst, wie viel männliche Aufmerksamkeit ihr zuteil wurde? Nein. Sie war mutig. Sie amüsierte sich. Genau vor seinen Augen erblühte sie zu einer sinnlichen Frau.
Und bei diesem Anblick litt er, wie er noch nie zuvor gelitten hatte.
Er goss sich ein Glas Wein ein, setzte sich auf einen Stuhl und ließ seinen Blick über die Hauptstraße schweifen. Teaser hatte recht. Die Musik war heiß, die Stimmung kochte über - und der Pfuhl sah aus, wie vor vielen Jahren, als er einen fünfzehnjährigen Jungen angezogen hatte, der vollkommen überwältigt gewesen war von den Lichtern und der Stimmung... und von dem Gefühl, dass ihn der Ort mit offenen Armen willkommen hieß.
»Du hast es mir nie gesagt«, wandte Sebastian sich an Philo, als dieser sich dem Tisch näherte.
»Was habe ich dir nie gesagt?«, fragte Philo.
»Jahrelang habe ich den Pfuhl einen Ort festlicher Sinnlichkeit genannt, aber bis heute Nacht habe ich nicht erkannt, dass er genau das ist. Ein Fest der Laster … und doch gibt es Grenzen.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Sebastian nahm einen Schluck Wein. »Doch, das tust du. Vor fünfzehn Jahren war ich unschuldiger, als ich dachte oder jemals zugegeben hätte, und dies ist die dunkle Landschaft, von der jeder heranwachsende Junge träumt. Feuer, Spaß und Leidenschaft. Es gibt auch die dunklere Seite. Natürlich gibt es sie.« Er blickte zu Philo auf. »Aber irgendwie ist es immer noch ein Fest.«
»Na und?«, erwiderte Philo mit ernstem Blick und ebenso ernster Stimme. »Dies hier ist eine dunkle Landschaft, aber es ist kein schlechter Ort. Ich habe schon an schlechten Orten gelebt, Sebastian. Genauso wie Mr Finch. Und all die anderen Menschen, die sich hier niedergelassen haben. Diesen Ort zu finden …« Er seufzte. »Also, nein, ich habe dem kleinen Jungen nicht erzählt, dass er nicht in einer so dunklen Landschaft sei, wie er dachte. Der Pfuhl ist wie du, Sebastian. Feurig, dunkel und mit ein paar gemeinen Ecken und Kanten, aber er hat ein gutes Herz.«
Der Pfuhl ist wie du.
Sebastian wartete, bis Philo ihm wieder den Rücken zukehrte, bevor er sein Weinglas leerte - und daran zurückdachte, wie Glorianna ihn zum ersten Mal im Pfuhl besucht hatte, sechs Monate nach seiner Ankunft.
»Das ist vielleicht ein seltsamer Ort, oder?«, sagte Sebastian, als er Arm in Arm mit ihr über die Hauptstraße lief.
»Stimmt«, antwortete Glorianna. »Bist du glücklich hier?«
»Ich gehöre hierher.«
Er hatte nicht bemerkt, wie verkrampft sie gewesen war, bis er spürte, wie sie sich entspannte. Hatte nicht erkannt, dass, während er seinen Platz gefunden, sie den ihren verloren hatte. Hatte während dieses ersten Besuchs nicht einmal gemerkt, dass sie die Landschafferin war, die Ephemera verändert hatte, um den Pfuhl zu erschaffen. Und später …
Warum hast du es getan, Glorianna? Warum hast du einen Ort wie den Pfuhl geschaffen?
Sie zuckte mit den Schultern. »Sogar Dämonen brauchen ein Zuhause.«
Es hatte ihm einen Stich versetzt, dass sie ihn als Dämon betrachtete, aber selbst damals hatte er zugeben müssen, dass sie recht hatte. Die Inkuben und Sukkuben
waren die vorherrschende Dämonenrasse im Pfuhl, und zum ersten Mal waren sie hier an einem Ort, an dem sie die Freiheit hatten, das zu sein, was sie waren. Sie mussten nicht länger versuchen, sich den Menschen anzupassen, waren nicht länger der Gefahr ausgesetzt, verletzt oder sogar getötet zu werden, wenn ihre Natur bekannt wurde. Viele, die während dieser ersten Monate im Pfuhl gestrandet waren, hatten gemerkt, dass die ausgelassene Atmosphäre und die fehlende Gefahr nicht nach ihrem Geschmack waren. Und diejenigen, die versucht hatten, die Stimmung im Pfuhl zu verändern und auf die Art von Ärger aus waren, die ihn zu einer anderen Landschaft gemacht hätte …
Glorianna Belladonna blieb kein Geheimnis des Herzens verborgen. Wer sich nach einem gefährlicheren Ort sehnte, landete auch an einem gefährlicheren Ort. Aber nicht im Pfuhl. Wer die dunklen Wünsche seines Herzens überlebte, kehrte nie in den Pfuhl zurück.
Erst mit siebzehn hatte er herausgefunden, dass die ausgestoßene Landschafferin Belladonna seine Cousine Glorianna war. Er hätte es vielleicht nicht einmal dann bemerkt, wenn nicht Lee, ein paar Wochen nachdem er an der Schule seine Ausbildung zum Brückenbauer begonnen hatte, im Pfuhl aufgetaucht wäre.
Fünfzehn Jahre alt und auf der Flucht vor einem Schmerz, den er nicht ertragen konnte, war Lee in den Pfuhl gekommen. Sebastian hatte die Frau stehen lassen, die er schon fast im Bett gehabt hatte, um seinen jüngeren Cousin vor größeren Schwierigkeiten zu bewahren. Er half Lee, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken, weil der Junge fest entschlossen schien, etwas Selbstzerstörerisches zu unternehmen, und er hatte ihm später den Kopf festgehalten, als er den Alkohol und die Hälfte seines Mageninhaltes auskotzte.
Und er hatte Lees Erzählung von der schlimmen, schmerzhaften Entdeckung gelauscht, die er an diesem
Tag gemacht hatte und die ihn in Tränen ertrinken ließ - die Entdeckung einer Tatsache, die seine Mutter und seine Schwester vor ihm verborgen hatten. Lee hatte gewusst, dass seine Schwester die Schule der Landschafferinnen plötzlich verlassen hatte und von ihrer Mutter unterrichtet wurde. Aber bis er über das Schulgelände gelaufen war, um den Garten seiner Schwester zu finden, hatte er nicht gewusst, dass die Lehrer mit Hilfe der Zauberer versucht hatten, Glorianna in ihrem Garten einzuschließen, hatte nicht gewusst, dass sie zur Ausgestoßenen erklärt worden war, zu einer Bedrohung Ephemeras. Glorianna war jemand, den die Zauberer sofort vernichten würden, sollten sie sie jemals zu Gesicht bekommen.
Sie war diejenige, die jetzt den Namen Belladonna trug.
All dies hatte Sebastian von einem Jungen erfahren, der versuchte, mit einer Erkenntnis fertig zu werden, die sein Leben verändert hatte. Aber er fragte nie, warum. Keiner von ihnen - weder Nadia oder Glorianna noch Lee - hatten ihm je erzählt, was Glorianna getan hatte, um ausgestoßen zu werden. Jetzt, nach so vielen Jahren, spielte es keine Rolle mehr. Sie
war
gefährlich … und gefürchtet - und sie war noch immer das Mädchen, das sein gequältes Herz besser verstanden hatte, als er selbst.
Plötzlicher Applaus holte Sebastian wieder zurück in die Gegenwart. Lynnea schüttelte den Kopf und lachte, während sie einen Schritt von Teaser zurücktrat. Auf seinem Gesicht lag ein Grinsen, und er wirkte sorglos und unbeschwert - bis Lynnea ihr Haar im Nacken zusammenfasste, damit die Luft ihre erhitzte Haut abkühlte.
Teasers Grinsen erlosch. Von einer Sekunde auf die andere wurde aus Sorglosigkeit Anspannung. Und der Ausdruck in seinen blauen Augen …
Sebastian wusste, was dieser Blick bedeutete. Wusste,
dass in seinen Augen der gleiche Hunger brannte. Er wollte seine Lippen auf ihren Nacken pressen und ihre Haut schmecken. Er wollte seine Hände über ihren Busen wandern lassen und ihre Brüste umfassen, ihre Brustwarzen reiben, bis sie unter seiner Berührung hart wurden. Er wollte sie an sich ziehen, sie spüren lassen, was der Anblick ihres Körpers mit ihm anstellte.
Teaser starrte ihn an. Aus seinen Augen sprach sowohl der unerträgliche Appetit, den dieses Festmahl vor ihm weckte, als auch überwältigende Frustration.
Weil das Festmahl keine Ahnung hatte, was sie ihnen antat. Ihre Augen waren geschlossen, sie hatte die Finger im Haar verschränkt, um es oben zu halten und ihre Hüften wiegten sich noch immer sanft zur Musik. Sie tat das nicht für die Zuschauer. Nicht um zu locken oder zu verführen, nicht einmal, um Aufmerksamkeit zu erregen. Hätte ihm irgendwann einmal jemand erzählt, dass Unschuld ihn vor Lust wahnsinnig machen könnte, hätte er gelacht.
BOOK: Sebastian
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